von Manuela Broser
„Okay, es war schön, dich kennengelernt zu haben“, seufzte ich traurig. „Weil ich Therapeut bin?“, fragte Samuel überrascht. Ich schnaubte. „Komm schon, du hast dich nur für mich interessiert, weil ich eine Macke habe und ihr Psycho-Doks voll drauf abfahrt.“ „Habe ich mit irgendeiner meiner Aussagen deiner Meinung nach in deinen persönlichen Freiraum eingegriffen?“ Stimmt, das hatte er nicht, doch es fühlte sich trotzdem wie ein Verrat an. Ich hatte ihm mehr von mir erzählt, als jemals einer anderen Person. „Nein“, nuschelte ich und schlürfte meinen Whiskey leer. Sam erwiderte darauf nichts, sah mich gutmütig an und stellte mir ein Glas Wasser vor die Nase. „Trink lieber mal davon.“ „Spaßbremse“, schmollte ich, trotzdem hatte er nicht unrecht. Allerdings verspürte ich ein anderes Bedürfnis, als ich das Glas Wasser ausgetrunken hatte. Unruhig rutschte ich auf dem Barhocker herum und kniff die Beine zusammen. „Alles okay bei dir?“, fragte der ach so aufmerksame Barkeeper-Therapeut. Ha – doppeltgemoppelt! „Ich muss pipsi.“ „Ein WC befinden sich gleich dahinten“, wies er mir eine Richtung. Ich verdrehte die Augen. „Das weiß ich, allerdings hast du etwas vergessen. Ich habe keine verdammten Schuhe an! Nichts für ungut, aber ich gehe bestimmt nicht barfuß aufs Klo! Voll ekelig.“ Sam runzelte die Stirn und schien zu überlegen. Dann erhellte sich sein Gesicht und er griff unter die Theke. Er kramte in etwas herum und knallte dann ein Paar Socken vor mich. „Hier, das sollte helfen.“ Schnüffelnd beugte ich mich über die Socken. „Wenn die nicht frisch sind, macht das jetzt aber überhaupt keinen Sinn.“ „Die hatte ich als Ersatz in meiner Sporttasche“, gluckste er amüsiert. „Du bist ganz schön wählerisch dafür, dass du schon gelbe Augen hast.“ Ich riss besagte Glubscherchen auf. „Hab ich nicht!“ Sam lachte und schüttelte den Kopf. „Los, verschwinde.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, denn es war wirklich schon dringend. Die Socken waren mir um bestimmt fünf Nummern zu groß und ich konnte sie fast als Strümpfe tragen. Außerdem waren sie weiß, aber naja, was solls! Ich begab mich auf den Weg zu den Toiletten und verfluchte den verdammten Seegang. Alles schaukelte und schwankte, bis ich bemerkte, dass es nicht an dem Schiff lag, sondern an mir. Wieder upsi! Ich sollte wirklich vorübergehend keinen Alkohol mehr trinken, denn bei meinem Pech, würde ich noch einen Abgang vom Schiff machen. Nein, ich hatte heute schon genug Unglück gehabt, darauf konnte ich getrost verzichten.
Ohne nennenswerte Zwischenfälle erledigte ich mein Geschäft und betrachtete mein glühendes Gesicht im Spiegel. Fuck, ich sah furchtbar aus! Meine Wimperntusche war verwischt, der Mascara nicht mehr vorhanden und ich hatte hässliche Flecken auf den Wangen. Toll, echt toll! So gut es ging, machte ich mich frisch und zuckte schließlich mit den Achseln. Schlimmer konnte es doch nicht mehr werden. Doch, konnte es! Die Türe ließ sich nämlich nicht mehr öffnen. Ich rüttelte, schüttelte, zog und riss daran, doch nichts bewegte sich. Schließen pochte ich laut dagegen und rief um Hilfe. Zehn fucking Minuten lang! Das gab es doch nicht, irgendwer musste mich doch hören! Als ich fast schon die Hoffnung aufgegeben hatte, flog die Türe plötzlich auf und traf mich mit voller Wucht am Kopf. Ich kippte nach hinten, landete auf meinem Allerwertesten und sah nur noch Sternchen. Danke, scheiß Schicksal!
© Manuela Broser 2024-02-03