von thestorycurator
Jedes Jahr schubst mich Oma nach Weihnachten in den Keller. Ich hasse den Keller wie Rosinen. Papa sagt, dass ich im Keller keine Angst haben muss, aber ich glaube ihm nicht. Er sagt viel, wenn der Tag lang ist. Zum Beispiel, dass er früher nach Hause kommt und mir eine Geschichte vorliest. Dabei bleibt er ganze Nächte weg. In der Früh nennt ihn Mama dann Lückner. Papa nennt mich Prinzessin. Ich glaube, Mama wäre auch gerne seine Prinzessin. An den Wochenenden bereisen wir mein Königreich. Die grünen Hügel, die Berge, die Seen. Papa fängt alles mit seiner Kamera ein. Ich lache absichtlich viel und schneide komische Grimassen. Je mehr Lachen, desto mehr von Papas Aufmerksamkeit. Mama hasst es, gefilmt zu werden. Sie schnauft oft ungeduldig und verdreht die Augen. Später beschwert sie sich, dass sie selten in Papas Filmen vorkommt und fragt ihn „Liebst du mich?“
„Hast du mich denn nicht lieb?“, fragt Oma. Klar. Trotzdem verweigere ich ihre harten Weihnachtskekse. Sie soll mir lieber eine Geschichte erzählen. Ich hocke auf der Gefriertruhe, obwohl sie unter meinem Gewicht schon knackst. „Kekse gegen Geschichte“, sagt Oma. Also brösle ich mir meine blaue Strumpfhose voll, während sie erzählt. Mama darf nichts davon wissen – weder von der Strumpfhose noch von den Keksen. Zucker ist der Feind. Blau dürfen nur Burschen tragen.
Wenn die Uhrzeiger schief dastehen muss ich raufschleichen und sehen, ob die Luft rein ist. Wie immer stehe ich schnuppernd im Vorzimmer. Die Luft in Omas Haus war noch nie rein. Sie riecht nach nassem Hund und Omas Alter. Trotzdem stapft Oma die Treppe hoch und geht zum Telefon. Zwischen Plastik und Holztisch klemmt ein 100 Schillingschein, den sie herauszieht und in ihren Busenhalter steckt. Ich hätte auch gerne einen Busen. Wenn ich einen Zettel in mein Laiberl stecke, rutscht die Liste durch und fällt am Boden. Von Oma weiß ich, dass man sich Busen kaufen kann. Das ist der Krux. Man braucht Geld für Busen, aber Geld hat man erst, wenn man Busen hat. Verschwörerisch sieht mich Oma an, „Was sagen wir zu Opa, wenn er fragt?“
„Dass der Stern schief gesungen hat. Und, dass der Pfarrer zu viel Schnaps trinkt. Und, dass das gelbangemalte Kind heuer der Bastard vom Nachbarn ist und, dass ich die 100 Schilling in die Schatulle für die hungernden Afrikakinder gegeben habe.“ Oma tätschelt meinen Kopf und sagt: „Braves Mädchen.“
Ich frage mich ob Sterne wirklich singen und will wissen, warum es schlimm ist, wenn der Pfarrer viel Schnaps trinkt. Und es sieht bestimmt lustig aus, wenn ein Kind gelbe Farbe im Gesicht hat. So ein gelb, wie wenn man in den frischen Schnee pinkelt. Das Kind mit Pipi im Gesicht, das würde ich gerne in echt gesehen. Ich würde auch gerne in den Amazonas zu den Prinzessinnen und auf Piratenjagd gehen, oder aber ich werde wie Oma, eine Geschichtenerzählerin mit viel Busen und viel Geld. Bis es so weit ist, bleibe ich ein braves Mädchen. Brave Mädchen bekommen die Abenteuer von anderen vorgelesen.
© thestorycurator 2021-08-09