von Daniela Neuwirth
Lillys Gesicht erhitzt sich, die synthetische Kleidung klebt auf der Haut, die Füße wollen nicht mehr in den gefütterten Stiefletten stecken. „Es ist einfach zu heiß hier drinnen.“ Sie guckt hilfesuchend zu den Kollegen, die sich scheinbar nicht so unwohl fühlen. Tür auf, Tür zu – der winterliche Luftzug kühlt die aufgewärmten Wangen. „Puh, mir laufen die Schweißperlen über den Rücken“, gibt sie ihren erhitzten Zustand kund und wartet auf die Reaktion, dass eventuell ein Fenster geöffnet wird von dem, der direkt davor sitzt.
„Ich hatte gerade eben gelüftet“. „Aber hier hat es sicher 25 Grad. Morgen nehme ich mir ein Saunatuch mit“. Sie sucht nach den Heizkörpern unter den Fenstern, aber da sind keine. Es handelt sich um Sylter Maß, wo der Bodenabstand bis Fenster einfach zu gering ist, um dort etwas Heizkörperähnliches hinzubauen. „Bodenheizung“, gibt er ihr die Antwort auf die fragenden Blicke. „Und die kann man nicht regulieren?“
Sie erinnert sich an ihr erstes Haus, wo natürlich auch erste Fehler passiert sind, wie z.B., dass sich beim Anfeuern des raumhohen Kamins aufgrund der hohen Raumtemperatur die Bodenheizung ausgeschaltet hat und die Kinder im Krabbelalter auf dem kalten Parkett herumrutschten. „Wird von oben gesteuert.“ Mit oben meint er die Firma über der Kanzlei, die anscheinend das Erdgeschoss vermietet hat.
„Aber… der Drucker läuft leise und was liegt hier Schönes?“ Außer den neuen Kalendern an den Wänden, die als Bild eine Fotografie einer täuschend echt aussehenden Steckdose haben, fällt ihr ein E-Mail-Ausdruck auf, der links am Schreibtisch liegt.
Darauf ein Text zum Virus von Heinz Erhardt: Sie liest: „Weil wir doch am Leben kleben, muss man abends einen heben. So ein Virus ist geschockt, wenn man ihn mit Whiskey blockt. Auch gegorener Rebensaft einen gesunden Körper schafft. Auch das Bier in großen Mengen wird den Virus arg versengen. Wodka, Rum und Aquavit halten Herz und Lunge fit. Calvados und auch der Grappa helfen Mutti und dem Papa. Ich will hier nicht für Trunksucht werben, doch nüchtern will ich auch nicht sterben.“
„Witzig“, sie faltet den Ausdruck und steckt ihn ein. „Wie lange ich schon nicht feiern war?“ Die unterdrückte Wut über die eingeschränkte Lebensform macht jedoch kreativ. Sie stellt ein wenig in der Wohnung um und wundert sich, warum es im Badezimmer so heiß ist. Der Heizkörper glüht. „Also eins muss man unserem Mitbewohner lassen. Er heizt auf Stufe 1,5 so, dass der eine Heizköper die ganze Wohnung wärmt und bekommt dann noch 150 Euro zurück am Jahresende“, ruft sie lachend ihrem Sohn aus dem Badezimmer mit der breiten, straßenseitigen Fensterwand zu.
Während sie an einem der Fenster nach kühler Frischluft schnappt, die vereinzelten Fußgänger auf der Straße beobachtet, klärt sie der Jugendliche auf. Er habe den Griff abgenommen, mit einer Zange voll aufgedreht und dann den Griff wieder draufgesteckt – auf 1,5., weil es ihm einfach zu wenig warm war beim Duschen.
© Daniela Neuwirth 2020-12-28