von Fiona Feinermann
Kurz bevor er ging drehte er sich noch einmal zu mir um, ich saß schon damals am Fenster in der dritten Reihe und fragte: „Das hätte ich ja fast vergessen. Wie heißt du mein Junge?“„Lucifer“ , hatte ich stolz geantwortet und er war augenblicklich kreideweiß geworden.„Weißt du was dieser Name bedeutet?“, hatte er entsetzt gefragt und ich hatte den Kopf geschüttelt. Sämtliche Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen und er setzte sich erschöpft auf einen Stuhl. Muss Lalit und ich sprangen sofort auf. Sie fragte ihn, was denn los war, doch er antwortete ihr nicht. Er bat alle Schüler, außer mich, das Zimmer zu verlassen. Als wir nur noch zu zweit im Raum waren hat er mich zu sich.„Du musst mir jetzt genau zuhören“, begann er. Ich nickte nur.„Bitte versuche nicht, herauszufinden, was dein Name bedeutet. Es ist sehr wichtig“„Das werde ich niemals tun“, versprach ich.„Gut“Er machte eine kurze Pause„Aber versprich mir bitte noch etwas: Du darfst niemals dein wahres Ich vergessen, egal was dein Name bedeutet. Du bist ein wundervoller junger Mann. Bitte behalte dir das bei und werde nicht zu dem, was dein Name über dich sagt. Es ist nur ein Name. Das heißt noch lange nicht, dass dein Name dein Inneres widerspiegelt. Hast du das verstanden? „Ich nickte stumm und verstand eigentlich garnichts.„Gut. Denk immer daran: Du bist einzigartig und du kannst selbst entscheiden, wer und wie du sein willst. Nix auf der Welt, auch kein Name kann daran etwas ändern“Ich nickte erneut.Er streichelte mich sanft über die Schulter, nahm seine Aktentasche und ging. Ich blieb im Zimmer zurück und ließ seine Worte sacken.In den letzten drei Jahren hatte ich diese Worte immer wieder gehört. Wortwörtlich, so wie er es fragt hatte. Ich erinnere mich an jedes einzelne Wort. Nur habe ich meine Versprechen gebrochen. Das erste gleich an diesem Tag, denn ich ging nach der Schule in eine Bibliothek, um nach der Bedeutung meines Namens zu suchen. Ich nahm mir einen riesigen Wälzer aus dem Schrank und blätterte nach meinem Name. Er war nicht dabei. Nach einigen Stunden, in denen ich weiter vergeblich danach gesucht hatte und aufgab, fand ich ein anderes Buch über Legenden. Es ging darin um dunkle Mythen und wahrscheinlich lag es daran, dass man sowas in diesem Land niemals lesen durfte, aber ich fühlte mich sofort davon angezogen. Ich hatte ein paar Seiten gelesen. Schließlich war ich auf den Teufel gestoßen und als ich seinen Namen las, brauchte ich ein paar Minuten, um meinen Puls zu beruhigen. Er hieß Luzifer. Wie ich. War ich etwa der Teufel?Nachdem ich mich beruhigt hatte, war mir aufgefallen, dass er mit z und nicht c geschrieben wurde. Ich hatte also noch ein Fünkchen Hoffnung. Ich war zum Bibliothekar gegangen und hatte ihn gebeten, mir zu helfen. Er hatte mir ein weiteres dunkles Buch gegeben und darin fand ich, die wahre Bedeutung meines Namens, auch wenn es ähnlich schlimm war.Lucifer ist der Engel des Todes.Luzifer ist der Teufel. Und ich? Ich bin wohl eine Mischung der beiden.Ich vergaß sofort alles, was mir der nette Mann eingebläut hatte und lief schreiend aus der Bibliothek hinaus. mIch hatte Angst. Angst vor mir selbst. Angst,jemandem weh zu tun. Angst, das zu sein, was mein Name von mir verlangte.
Doch das war nicht alles, was mein Leben verschlimmerte…
© Fiona Feinermann 2023-05-07