von Hanna Fode
Als mein Vater schläft, schleiche ich mich in sein Büro. Ich habe noch etwas zu finden. Ich krame in Schubladen, bis ich ein Fotobuch in den Händen halte. „So leicht kann es doch nicht sein“, flüstere ich, aber so leicht ist es und ich schaue mir in die Augen, einer kleinen Version von mir. Dieser Anblick wurde mir über Jahre verwehrt, selbst wenn es mir selbst nicht ganz klar gewesen war. Ich bin erleichtert, dass ich mich noch wiedererkenne, aber bei jedem Unterschied, den ich bemerke, schießen mir Tränen in die Augen, sei es meine Nase oder meine Wangen. Ich blättere es einmal komplett durch, während ich vor der Schublade knie und aufmerksam horche, ob mein Vater wach wird, aber das wird er nicht und so komme ich zur letzten Seite. Mir fällt etwas entgegen und ich ziehe scharf Luft ein, als es mit einem nicht ganz leisen Geräusch zu Boden fällt. Ich schaue es genauer an, ein Umschlag, der an mich adressiert ist. „Warum liegt das hier im Büro meines Vaters und ist nie bei mir angekommen?“, frage ich in Gedanken. Ich öffne ihn, er wurde schon einmal sauber geöffnet, und ziehe zuerst die Postkarte heraus.
Liebste Maja,
du bist groß geworden und mir hat es Spaß gemacht, diese Jahre mit dir zu verbringen. Ich habe es dir nie erzählt, aber ich war schon immer gegen dieses System, gegen diese Kategorien und ich fürchte, es kam, wie es kommen musste und nun falle ich diesem System zum Opfer. Dein Vater tut es nicht gerne, aber so sind die Regeln. Und seit ich diese Narben habe, schaut er mich sowieso nicht mehr so an, wie er es vor dem Unfall getan hat. Gerade bin ich noch im Warteraum für Leute wie mich, sie haben vorhin festgestellt, dass die Narben und Brandwunden nicht durch eine Operation kaschiert werden können. Nachdem ich dem Test unterzogen wurde, wurde bestätigt, dass ich keiner Kategorie mehr zuzuordnen bin. Und so schnell bin ich hier gelandet. Aber mach dir keine Sorgen um mich, ich werde schon klarkommen.
Ich habe dir auch noch etwas dazugelegt, vielleicht kannst du es irgendwann gebrauchen, bis dahin trage es bei dir.
Allerliebste Grüße von deiner Mama!
Mich trifft es wie einen Schlag. Sie haben sie in den Tod geschickt. Wie soll sie als zierliche Frau denn das Militär überleben? Ich lese den Brief noch einmal, ich zittere. „Es tut mir leid, dass du das so erfahren musstest“, höre ich plötzlich meinen Vater hinter mir. Ich lasse das Päckchen, das mit der Postkarte im Umschlag lag, in meinen Ärmel rutschen. „Maja, es tut mir leid“, wiederholt er. Ich drehe mich zu ihm, mit aufgerissenen Augen und offenem Mund schaue ich ihn an. Es ergibt sicher keinen schönen Anblick, aber ich kann meinen Schock nicht verbergen. Ich schiebe die Schublade zu und gehe an ihm vorbei aus dem Raum. Seine Entschuldigung nehme ich weder in Worten noch in Gedanken an. Sie hat sich nicht mitfühlend angehört, sondern anklagend.
© Hanna Fode 2025-02-17