Abschied

Rebecca Schwartz

von Rebecca Schwartz

Story

Es wurde Zeit und der Gedanke daran ließ einen Klumpen in meinem Magen zurück. Ich schluckte dagegen an, ohne Erfolg. Stattdessen kam die Übelkeit.

„Mach jetzt einfach!“, sagte ich mir in Gedanken und kniete mich vor das Bett. Kleine Staubkörner tanzten durch die Luft. Ich schaute ihnen einen Moment zu, bevor ich die Kraft fand die alte Holzkiste unter meinem Bett hervorzuziehen. „Mein Bett…“, dachte ich und es fühlte sich falsch an. Ich nahm einen Stapel Briefe zwischen den ordentlich aufgereihten Habseligkeiten hervor. Langsam ging ich die Namen durch, welche ich in geschwungener Schrift auf die Umschläge geschrieben hatte. Als ich den Umschlag mit der Bezeichnung „Papa“ in der Hand hielt, betrachtete ich die Sonnenblume, welche ich neben seinen Namen gezeichnet hatte. Den Brief würde ich ändern müssen und dabei traten mir Tränen in die Augen. Ich zog das beschriebene Blatt hervor und kämpfte mit meiner verschwommenen Sicht.

„Noch ein bisschen…“, dachte ich, „Gib uns noch ein bisschen Zeit!“

Ich begann die Zeilen zu lesen, welche ich vor langer Zeit in diese Kiste gepackt hatte und gehofft hatte, dass ich sie niemals würde ändern müssen, dass nicht ich es war, die die Briefe wieder hervorholen musste.

Hallo Papa.

Ich habe dieses Buch gelesen. Dieses Denken und Fühlen verändernde Buch. Dort stand die Frage, wenn du jetzt sterben würdest, wen würdest du anrufen und was würdest du ihm sagen? Ich habe sofort an dich gedacht und es hat mich ein wenig gewundert. Nicht meinen Mann? Nicht meine Kinder? Nein, habe ich gedacht. Ich würde nicht wollen, dass sie sich sorgen oder ängstigen. Und dass ich sie liebe? Nun, dass wissen alle Drei, ich sage und zeige es ihnen jeden Tag. Dir sage ich das nur noch, wenn wir telefonieren. Also würde ich dich anrufen und dir sagen, dass du auf meine Kinder und meinen Mann aufpassen sollst. Denn dich kümmern, dass kannst du sehr gut. Manchmal mit etwas ärgerlichem zeitlichen Verzug, aber wenn es brennt, dann stehst du mit einem Löscheimer sofort vor der Tür. Das weiß ich sehr zu schätzen. Ich würde dir sagen, dass alles gut ist und ich keine Angst habe, denn ich habe immer versucht mein Leben so zu leben, dass es mich glücklich macht. Du gabst mir den Mut dafür. Du müsstest Mama von mir grüßen und ich würde dich bitten mehr auf sie zuzugehen. Ihr seid doch ein Team und keine Konkurrenten. Pass auf meine Familie auf, Papa. Und pass auf dich auf! Sollte ich vor meinem Tod nur noch einen Anruf tätigen dürfen, dann würde ich dir all das sagen. Und dass ich dich lieb hab.

Endlich fanden der Kummer und Schmerz seinen Ausdruck in lauten Schluchzern und salzigen Tränen. Ich hielt den Brief in meinen Händen und wusste, dass ich ihn neu schreiben musste und das war einfach nicht das, was ich tun wollte. Es war einfach nicht richtig, diesen Brief ändern zu müssen! Langsam ebbte die Welle der Trauer ab und ich war ruhiger. Nicht gefasst und auch nicht friedlich, nur ruhiger. Wie betäubt griff ich endlich nach dem Brief, um den es eigentlich ging. Der Brief, der überflüssig geworden war. Adressiert war er an: „Mein geliebter Ehemann“

© Rebecca Schwartz 2024-09-04

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig
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