Abschied von der Lindenstraße

Jürgen Heimlich

von Jürgen Heimlich

Story

In diesen Tagen ist fern schauen abseits von Corona eine Labsal. Überhaupt ist es besser, wie auch Psychologen raten, die Berichterstattung über die Pandemie nicht in Übermaßen zu verfolgen. Dadurch würde sich das Virus nur umso stärker im Kopf manifestieren. Es gilt, ganz harmlose Dinge zu tun. Sich eine kleine Freude zu machen. Ablenkung ist immer gut. Und da bin ich auch schon bei der „Lindenstraße“. Im Alter von knapp 15 Jahren habe ich die Serie kennen gelernt. Und in den ersten zwei, drei Jahren wohl fast jede Folge gesehen. Es war so eine Art Familienritual, zuzuschauen. Und die Geschichten waren direkt aus dem Leben. Nicht überzogen, sondern genau richtig. Irgendwann hat sich das geändert. Aber da war ich schon lange kein Stammseher mehr.

In den letzten gut 30 Jahren habe ich die Serie nicht mehr regelmäßig verfolgt. Vieles wusste ich nicht, wenn ich dann doch mal wieder eine Episode – meistens, wenn ich bei meinen Eltern auf Besuch war – gesehen habe. Meine Lieblingsfigur war wohl der von Harry Rowohlt verkörperte „Penner Harry“. Jedes Mal, wenn ich die Serie sah, wartete ich auf seinen Auftritt. Der begnadete Rezitator und Übersetzer überzeugte auch in dieser Rolle.

Nun zeigte die ARD am 29. März 2020 die letzte Folge der Serie. Und es war ein nostalgisches Gefühl, noch einmal den Protagonisten einen Besuch abzustatten. Die letzten Folgen, die mein Interesse erweckt hatten, waren eine Live-Folge und jene, in der Hans Beimer zu Tode kommt, gewesen. Helga Beimer, wohl die Seele der „Lindenstraße“, feiert in der letzten, recht dramatischen Folge, ihren 80. Geburtstag. Und es treten einige Schauspieler wieder auf, die in früheren Zeiten dabei gewesen waren.

Marie Louise Marian wird von ihnen allen in der letzten Szene mit einem „Happy birthday“ bedacht. Die Festgesellschaft ist nicht mehr im Bild.

Am 14. Dezember 1991 war Marie Louise Marian in „Wetten, dass?“ zu Gast. Sie wurde Zeugin einer „Lindenstraßen“-Wette. Die Kandidaten hatten gewettet, dass sie die ersten 314 Folgen der Serie durch das Zeigen der jeweils letzten fünf Sekunden vor dem Standbild erkennen würden. Die Kandidaten gewannen souverän die Wette. Heute wäre es deutlich schwieriger. Denn bei unglaublichen 1758 Folgen wäre das Gedächtnis im Falle einer solchen Wette besonders auf die Probe gestellt.

Wenn der letzte Vorhang fällt, ist das immer ein wenig traurig. Doch für die Schauspieler werden sich, wenn die Pandemie überstanden ist, sicher neue Rollenangebote ergeben. A pro pos ehemalige Darsteller: Til Schweiger wurde durch die „Lindenstraße“ bekannt.

In Bezug auf Corona hat er sich zu Wort gemeldet. Er ist wütend auf die Menschen, die sich nicht an die Maßnahmen, und insbesondere nicht an die Mindestabstände halten. Das hat er auch via Instagram kundgetan. Vielleicht zeigt das ein Stück weit Wirkung. Die „Lindenstraße“ zeigte bis zum Schluß die „heile Welt“ ohne Corona. Kein Drehbuchautor hätte diese Pandemie fantasieren können.

© Jürgen Heimlich 2020-03-29

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