Acht Samen

Das Leben und der Tod. Sie sind unser Leitmotiv hier im Irrenhaus am Rande der Stadt. Der baumumarmende Hippie-Therapeut findet, wir seien alle viel zu sehr mit dem Tod beschäftigt. Wir sollten uns viel mehr mit dem Leben befassen. Findet der Therapeut. Deshalb stehen wir in der brütenden Augusthitze im Garten und sollen Pflanzen pflanzen. Meinen Einwand, dass es doch viel zu heiß und trocken sei für derlei Gartenprojekte, wischt der Therapeut vom Tisch. „Leben!“, sagt er. „Du musst dich mit dem Leben befassen. An das Leben glauben! Gib dem Leben eine Chance“, sagt er. Sein Enthusiasmus schwallt mir entgegen wie Mundgeruch. Und stößt mich genauso ab.

„Leben, um zu sterben“, denke ich und dass wir die armen Pflanzen, die wir pflanzen, eiskalt zum Tode verurteilen. Leben und Tod. Der eine folgt unweigerlich auf das andere. Die Pflanzen werden sterben. Ich werde sterben, wir alle werden sterben. Lombardo ist schon tot. Scheiß Leben, denke ich, schmeiße die Samen, mit denen ich hantiert hatte in die Erde, nehme das Schweigen und gehe.

Warum sollte ich dem Leben eine Chance geben, wenn man eh keine Chance hat? Ich sitze unter einem Baum und bewerfe das Schweigen mit Blättern, die der Baum wegen der Trockenheit abgeworfen hat. Die meisten zerbröseln schon, wenn ich versuche, sie zu Geschossen zu knüllen. Es macht mich rasend. Scheiß Leben!

Der Therapeut setzt sich zu mir. Ich will ihn auch mit Blättern bewerfen, aber die gute Erziehung hindert mich. Ich weiß genau, dass er etwas sagen will, aber aus irgendwelchen psychologisch wertvollen Gründen erstmal mit mir mitschweigt. Es macht mich rasend. Soll er halt das Maul aufmachen.

„Was machst du jetzt?“, fragt er schließlich. Sein Ernst? Das ist die psychologisch wertvolle Frage, mit der er einsteigt? „Unterm Baum sitzen“, knurre ich. Und um weitere dumme Fragen abzuwenden, füge ich hinzu: „Achtsamkeitsübung! Im Grünen, die Natur und so.“ Blöde Antworten auf blöde Fragen. Ich mache eine ausladende Bewegung mit dem Arm und sage mit dem falschesten Enthusiasmus der Geschichte des Theaters: „Leben!“

Der Therapeut schweigt noch ein bisschen und macht mich rasend. „Wut ist auch Leben“, sagt er schließlich. Und ich schmeiße endlich mit einem Blatt nach ihm.