Afghanische Gastfreundschaft

Bernhard Fellner

von Bernhard Fellner

Story

Es gibt in Wien eine Organisation, die Zuwanderer mit Menschen der Aufnahmegesellschaft zusammenbringt. Sie nennt sich „Kontaktepool“. Eines Tages saß ich dort Amar gegenüber. Er war aus Afghanistan geflüchtet und hatte seine Frau und vier Kinder zurücklassen müssen.

Amar hatte einen schwarzen Vollbart und wirkte wie ein etwas untersetzter, gemütlicher Brummbär. Er war schon seit fünf Jahren in Österreich und lebte in einem Flüchtlingsheim am alleräußersten Rand von Wien. Sein Deutsch war nicht sehr verständlich, aber wir konnten uns doch so halbwegs unterhalten.

Unser erster gemeinsamer Ausflug führte uns in den Kurpark von Oberlaa. Bei der Hinfahrt habe ich mich total verfahren, aber Amar nahm es mit Gelassenheit. Nach dem langen Spaziergang kehrten wir kurz in einem Park-Beisl ein. Amar wollte nichts trinken – es war Ramadan! Er erzählte mir gar viel und ich verstand gar wenig. Es hatte etwas mit einem kleinen Vergehen zu tun, für das er in Österreich kurzfristig „gesessen“ hatte. Für mich war das aber belanglos, weil ich von Anfang an den warmherzigen, klugen Mann im Vordergrund sah.

Ich hab ihn oft besucht in seiner holzgezimmerten Flüchtlingsherberge, wo er zeitweise allein und zeitweise in einem Zimmer mit Mitbewohnern hauste, die noch ärmer dran waren als er. Dann gab es immer Berge von scharfem, afghanischem Reis, herrlichen Salat und regelmäßig eine Nachspeise.

Wir machten oft gemeinsame Ausflüge und haben an vielen lustigen Veranstaltungen des Kontaktepools teilgenommen. Einmal malten wir dort miteinander ein Ölbild. Wir haben viel zusammen gelacht. Amar war sehr humorvoll und nannte mich oft „Chef“! Sein sehnlichster Wunsch war es, die Kinder wiederzusehen.

Ich habe ihm geholfen, die Familie nach Österreich nachzubringen. Bei seiner Frau und den drei jüngeren Kindern ging es noch „relativ“ leicht, beim ältesten Sohn wurde es sehr schwierig – aber auch das gelang schließlich. Amars Frau war am Anfang sehr arm dran, weil sie sich partout nicht auf die Straße wagte.

Die Familie landete zu sechst in einer Zweizimmerwohnung in Favoriten. Seit sie komplett sind, habe ich nicht mehr so viel Kontakt zu Amar. Sein Hauptproblem ist, dass er es sehr schwer hat, eine dauernde Anstellung zu finden. Wenn er mal in der Küche eines bestimmten Lokals ausgeholfen hat, habe ich ihn dort immer zu einem kleinen Imbiss besucht. Und er hat immer darauf bestanden, dass es auf seine Rechnung gehe.

Das letzte Mal hat er mich vor ein paar Wochen angerufen, ob ich nicht wegen einer größeren Bleibe für ihn intervenieren könne. Dann stand er da mit einem riesigen Sack voller Obst und Gemüse. Leider konnte ich nichts für ihn erreichen, weil er eine ihm angebotene – schwer sanierungsbedürftige – Wohnung abgelehnt hatte. Ich schrieb ihm einen langen Brief – die Verständigung am Telefon war eben schwierig. Ich hoffe, dass ich ihn bald wiedersehe, meinen schlauen, angegrauten afghanischen Brummbären, der mir so ans Herz gewachsen ist!

© Bernhard Fellner 2019-04-25

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