Allein oder einsam?

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

In einer Welt, in der man per Handy ständig erreichbar sein soll, wird Alleinsein zunehmend gefürchtet. Besonders junge Menschen fühlen sich schmerzlich einsam, wenn niemand anruft.  Die Anzahl der sozialen Kontakte spielt eine große Rolle für ihre Zufriedenheit. Sie brauchen den Austausch mit ihren Gleichaltrigen. In zunehmendem Alter ändert sich das aber. Überforderte Eltern sehnen sich oft nach Alleinsein. Sie kommen im Alltag kaum zum Durchatmen.

Ob es einem leichtfällt, ohne andere zu sein, hängt aber auch von der Persönlichkeit ab. Introvertierte Menschen sind gerne öfter allein. Sie brauchen keinen Trubel rund um sich. Während der Lockdowns in der Pandemie haben sie nicht so gelitten wie Extrovertierte. Sie brauchen das Alleinsein richtiggehend, um sich von sozialer Überlastung zu erholen. Ich habe das während Corona sehr gespürt. Es war unerwartet, wie ich mich plötzlich erlöst fühlte. Ich war vorher sehr aktiv, organisierte Vieles, war immer quasi in der „ersten Reihe“.  Auch an Wiens Kulturszene nahm ich aktiv teil und war oft drei Mal pro Woche im Theater, Konzert oder Kino. Die Maskenpflicht war mir aber so zuwider, dass ich mich radikal zurückzog und bekam das größte Geschenk, das ich mir vorstellen konnte: ich fühlte mich befreit und hatte endlich Zeit für mich! Alleinsein hat eben nichts damit zu tun, ob man einsam ist. Vielmehr ist es ein (manchmal) vorübergehender Zustand, den man selbst auswählen kann. Das ist bei Einsamkeit nicht der Fall. Echte Einsamkeit macht häufig depressiv und ist ein Risikofaktor für viele Krankheiten.

Die stillere Zeit hat mir Ressourcen geschenkt, die ich auch nach der Pandemie als sehr wertvoll erlebe. Ich kann zur Ruhe kommen, meine Gedanken ordnen und neue Energie tanken. Ich kann Ideen und Inspirationen entwickeln. Studien belegen, dass diese Art des Rückzugs die Kreativität und Problemlösungsfähigkeit fördert.

Man darf aber nicht vergessen, dass sich die Lebensumstände im Alter wieder verändern. Wenn alte Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihr Alleinsein zu beenden oder zu verändern, werden sie einsam. Ältere Menschen, die sozial isoliert, verwitwet oder gesundheitlich eingeschränkt sind, leiden besonders häufig unter Gefühlen von Ausgeschlossenheit. Zugleich beeinträchtigen Einsamkeit und soziale Isolation die körperliche Gesundheit. Schlafstörungen können körperliche Symptome der Einsamkeit sein. Ein weiteres Anzeichen ist, dass man zu viel schläft. Wenn Menschen sich traurig oder einsam fühlen, suchen viele den Schlaf, um ihre Gefühle zu verdrängen.

Vor vielen Jahren beteiligte ich mich mit meinem Verlobten (und späteren Ehemann) an dem Caritas-Projekt „Haben sie ein Stündchen Zeit?“ Wir besuchten einsame Menschen und plauderten mit ihnen. Ich werde nie vergessen, wie sie aufblühten und mit welcher Freude sie von ihrem Leben erzählten.


© Ulrike Sammer 2025-03-18

Genres
Lebenshilfe
Stimmung
Informativ