Mit ihrer Eleganz, ihrem wachen Geist, ihrer Eloquenz und ihrer Lebensfreude war Lotte Tobisch, Burgschauspielerin, Autorin und legendäre Organisatorin des Wiener Opernballs ein Vorbild für viele. Eine, die sich bereits emanzipierte, als die meisten das Wort „Emanzipation“ noch nicht einmal buchstabieren konnten. Eine, die wunderbare Sätze sagte, wie „Die Menschen gewöhnen sich an alles, sogar, wenn man ihnen die Wahrheit sagt.“ Eine, die immer eine schlagfertige Replik parat hatte. Auf die Behauptung von Gesundheitspapst Rüdiger Dahlke, Kuhmilch wäre für den menschlichen Organismus unverträglich, meinte sie: „Wenn ich keine Milch getrunken hätt‘, wär‘ ich statt 90 womöglich schon 95!“
Kurz nach ihrem Neunziger lud ich Lotte Tobisch nach Salzburg ein. Es war eine der beglückendsten Veranstaltungen in der Reihe „Literatur im Café Mozart“. Sie stellte ihr Buch „Alter ist nichts für Phantasielose“ vor und machte aus der geplanten Lesung eine charmante Plauderstunde. Stichwortlieferantin war Karin Buttenhauser, die Literaturexpertin von Radio Salzburg. Lotte Tobisch verzichtete auf ein Honorar, wünschte sich nur eine Übernachtung im Hotel Sacher in einem Zimmer mit Blick auf die Altstadt und ein Plakat, das ich ihr am nächsten Tag zum Frühstück servierte. Die Einnahmen der Veranstaltung gingen als Spende an das Seniorenheim in Baden „Künstler helfen Künstler“, dessen Präsidentin sie war. So konnte ich dazu beitragen, dass das Haus in neuem Licht erstrahlte.
Nach der Veranstaltung saßen wir in kleiner Runde bei Schinkenomelette und Wein beisammen. Auch Hans Weichselbaum, der Leiter der Trakl-Gedenkstätte, war dabei. Zu Salzburg und zu Georg Trakl hatte Lotte Tobisch eine besondere Beziehung. Erhard Buschbeck, ihre große Liebe, war mit Georg Trakl in der Jugendzeit befreundet. “Abgepascht” ist die blutjunge Schauspielerin, um mit dem 37 Jahre älteren, verheirateten Schriftsteller und Dramaturgen am Wiener Burgtheater zusammenzuleben. Das war ein ausgewachsener Skandal in der Patrizierfamilie Tobisch-Labotyn, der sie entstammte. Buschbeck war mit Trakl in Salzburg ins Gymnasium gegangen und veröffentlichte 1917 sein erstes Werk „Georg Trakl. Ein Requiem“. Zu diesem Zeitpunkt war die enge Freundschaft zwischen den beiden schon in Brüche gegangen. Grund war Buschbecks Beziehung zu Trakls Schwester Grete, die dem Bruder missfiel. An Erhard Buschbeck erinnert an seinem Geburtshaus in der Ernst-Thun-Straße 9 in Salzburg eine Gedenktafel.
Den 95. Geburtstag erlebte Lotte Tobisch, die am 28. März 1926 geboren wurde, nicht mehr. Sie starb am 19. Oktober 2019 im Künstlerheim in Baden. Ihre Krankheit, von der nur wenige wussten, ertrug sie so, wie gelebt hatte – mit großer Würde. „Das Leben danach? Ich halte es mit Voltaire. Der hat gesagt: Gott wird mir verzeihen. Das ist sein Geschäft.“
Dass das Zitat von Heinrich Heine stammt, darüber sei an dieser Stelle großzügig hinweggesehen.
© 2021-03-27