von Bernd Schreiber
„Kommste mit? Nächste Woche macht André Heller großen Zinnober vor dem Reichstag.“
„Was macht er denn?“
„Hauptsächlich Feuerwerk, hat er in Lissabon schon gemacht“.
Na klar bin ich dabei. Wo einer zwei Toppdeckel aneinander schlägt und es ´ne Currywurst gibt, geht der Berliner hin. Diese Eigenart hatten die Veranstalter von Hellers „Feuertheater mit Klangwolke“ am 7. Juli 1984 auf dem Platz der Republik unterschätzt. Statt der erwarteten 250.000 kamen ca. 500.000 Zuschauer, wir mittenmang. D.h. mittenmang stimmt nicht, wir kamen überhaupt nicht bis zum Platz. Dafür brauchten wir auch keinen Eintritt zu bezahlen. Wir waren irgendwo in einer Seitenstraße auf bereits wartende Menschenmengen festgelaufen. Weiter ging’s nicht, war aber auch nicht schlimm, weil wir einen Teil des Reichstags und das davor aufgebaute Feuer-Rahmengerüst einsehen konnten. Der Zuschauerstrom riss nicht ab und bald war hinter uns alles zu.
Irgendwann ging’s los. Aber richtig Rambazamba, ein wirkliches Spektakel. Nicht im Sinne von Silvesterballerei, sondern fantastische, mit klassischer Musik unterlegte Feuerbilder, ein Plädoyer für die Fantasie und gegen den Krieg, wie Heller es nannte. Dann zwischendurch plötzlich absolute Stille. Nichts passierte. Ich vermutete schon einen Rohrkrepierer beim „Pyromanen“, dem das Streichholz für die Lunte der nächsten Rakete ausgegangen war. Aber dann etwas, was bei mir bis heute noch Gänsehaut auslöst. Allgegenwärtig und wie vom Himmel ertönte die Stimme von Therese Giehse, die Brechts Gedicht „An meine Landsleute“ vortrug:
„Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!“ …
Anschließend ging es mit Feuer sowie Klang weiter und irgendwann war der ganze Zauber vorbei.
Ein kurzer Moment des Innehaltens, dann beschlossen wir, wieder nach Hause zu gehen. Den Entschluss fassten zeitgleich mit uns die anderen 500.000 Schaulustigen. Und diesen „Almabtrieb“ weg von der Veranstaltung werde ich ebenfalls nie vergessen. Das glücklicherweise einzige Mal, bei dem ich (k)ein gutes Gefühl für eine Massenpanik bekam. Zuerst ging’s noch, da waren wir innerhalb des Pulks noch Herr der Bewegung, danach wurden wir nur noch bewegt. Eine Verengung, die gar nicht so lang war, aber auf dem Stück wurden wir immer mehr hilflos zusammengequetscht. Uns war mulmig. Als wir an einem dicken Baum vorbeigedrückt wurden, schafften wir es, in den „Toten-Winkel-Bereich“ vom Stamm zu kommen. Da ging’s. Wir warteten, bis sich die Stampede unfallfrei auflöste und machten uns dann auf den Weg heimwärts.
Sicher polarisiert André Heller, aber für mich war es ein unvergessenes Erlebnis, ein wenig „der Augenblick mit einem Hauch von Ewigkeit“, den er inszenieren wollte. Selbst der Abmarsch hinterließ bei mir die Ahnung eines Hauchs von Ewigkeit.
© Bernd Schreiber 2022-03-26