Die lachenden Möwen schreien unentwegt, als würden sie sich unendlich amüsieren über das Geschehen unter ihren Flügeln. Das Rumpeln der Koffer über die Steine der Gässchen, verschwitzte, schon dezent verzweifelte Gesichter auf der Suche nach Navi-Empfang und nach dem Weg zum richtigen Quartier. Ein Parkour für starke Nerven durch verdächtig wirkende gelbe Flecken auf den Straßen und suspekte bräunliche Stellen daneben, es empfiehlt sich, den Blick gelegentlich vorausblickend vom Handy auf die Gasse zu lenken, möchte man die Rollen des nachschleifenden Koffers vor selbigen bewahren. Der Geruch von herrlichen Eintöpfen und der leicht anflutende Fischgeruch. Nicht vom Meer. Eher aus den Restaurants und Konobas, aus deren Hintereingang schlurfend Köche und Küchengehilfinnen sich eine Zigarette anzünden und die vorübergehenden Touristen mit gelangweilten Blicken missachten.
Dann sind da noch die beiden Schwestern. Sie leben im ersten Stock des Hauses. Die eine sieht man nicht. Man hört sie. Zurückgeblieben sei sie, so sagt man. Schmerzen habe sie. Unentwegt, bei Tag und manchmal in der Nacht. Besonders in den Morgenstunden. Das hört man. Die andere Schwester sieht man gelegentlich. Streng, gefordert, am Rande ihrer Nerven, angewidert von den Menschen, die ein besseres Schicksal erfahre als sie. Das sieht man. Der Höhepunkt des Tages: Wenn der Arzt zum täglichen Besuch ins Haus kommt und ihr für wenige Minuten die Last der Verantwortung von den Schultern nimmt. Und wenn sie am Abend für sich und ihre Schwester köstlich duftenden Eintopf kocht.
Am nächsten Tag, ein Polizist, der sich über die enge, elends steile Treppe in den dritten Stock zu uns herauf schleppt. Mit lang schon hörbaren Schritten versucht er, die Schwere der Luft zu durchschneiden. Sein Körper füllt beinahe den ganzen Raum im Stiegenaufgang aus, als er an die Tür mit der Regenbogenfußmatte pocht. Gleich neben unserer Zimmertüre, dachten wir bis jetzt, dass lediglich ein Dachbodenaufgang dahinter sein könnte. „Dobredan, ach, ich wusste nicht, dass hier jemand wohnt…“,“Die Wohnung gehört jemandem aus Zagreb, the appartement here is just for holiday…“, „Also ich denke nicht, dass hier jemand da ist, wir hören nichts von nebenan. Wir hören etwas von unten…wir hören eine Menge von unten, aber nichts von nebenan.“, „Na, wenn das so ist, dann auf Wiedersehen!“, irgendwie wirkt der Polizist erleichtert, kommt mir vor und ausgesprochen freundlich. Und er vertraut meinem Wort…somit habe ich heute Morgen das Gefühl, eine amtlich höchst wichtige Aussage getätigt zu haben. Jetzt sitze ich auf den zerklüfteten Felsen und höre die Gischt an die Steine branden. Noch immer wundere ich mich über die Tatsache, dass eine Amtsperson tatsächlich die engen steilen Stiegen erklommen hat. Und ein bisschen traue ich mich zu denken, ob er wohl das Gestöhne und Gejammere hinter der Tür des ersten Stockes wahrgenommen haben könnte. Irgendwie wünsche ich mir insgeheim, es wäre so gewesen. Nur um sicherzugehen, das alles mit rechten Dingen vonstattengeht. Aber irgendwie bleibt das Gefühl, dass sich rund um den ersten Stock bereits alle an das leidvolle Klagen gewöhnt haben.
Auch das ist Rovinj.
© Birgit Bremer-Fözö 2024-07-03