„Auch dicke Weiber brauchen Liebe“

Vivienne_Féroche

von Vivienne_Féroche

Story
Wien, Burgenland

… diese und andere Sprüche sagte mein Onkel, der Wirt, stets in großen Runden in seinem Lokal. Er war gerne der Mittelpunkt, er schämte sich nicht für seine chauvinistischen, anti-feministischen, sexuellen Aussagen. Statt einer wissenschaftlichen Abhandlung darüber, warum genau „dicke Weiber“ noch mehr Liebe brauchen als alle andern, liegt der Fokus dieses Textes nun auf den Umständen der Gastronomie. Solche Aussagen, die eigentlich auf keine Kuhhaut passen, nimmt man nicht ernst, wenn man in der Branche arbeitet. Klar, in der Schule, der Akademie, der Universität dürfte man das nicht sagen, schon gar nicht vor Gericht (Selbst wenn der Richter um 3 in der Früh bei einem am Stammtisch sitzt, genau sowas von sich gibt). Weil in jedem von uns ein kleiner Teufel steckt. Sind das Umfeld die meiste Zeit Betrunkene jeder Gesellschaftsschicht, macht das etwas mit einem. Ob man will oder nicht. In der 10 Überstundenschicht ohne Warmwasser kann einem schonmal ein Schimpfwort gegenüber einem neuen Kollegen, der glaubt, er sei wer, entkommen. Beschimpft werden ist doch ein Aufnahmeritual. Kannst du nicht damit umgehen, bist Du hier falsch am Platz. Wir wissen, dass derjenige grade einfach überarbeitet, unterversorgt oder einfach nur „hangry“ ist. In der Gastronomie entwickelt man ein Gespür für die Menschen, ihre Bedürfnisse, da es geht ja permanent um die Befriedigung dieser geht. Der Fall eines Bekannten beschäftigt mich aktuell. Ob er zu einem Kollegen „Schwuchtel“ gesagt hat, oder nicht. Auf einem 16-seitigen Urteil steht, warum die Entlassung aufgrund der Aussage gerechtfertigt ist. Quintessenz: Das darf man heute nicht mehr sagen. Zu seiner Zeit war das anders. Er arbeitete stets hart, zu unmöglichen Arbeitszeiten. Kein Richter würde sich auf solche Arbeitszeiten einlassen. Im Endeffekt sind solche Schichten menschenrechtsverletzend. System ändern bedeutete VERDAMMT viel Arbeit und würde vielen das große Geld wieder nehmen. Meiner Meinung nach ist dieses Urteil nicht gerecht. Denn was er selbst vor Gericht alles hätte durchsetzen müssen, er müsste bis zu seinem Lebensende vor Gericht verhandeln. Darf man heut nicht mehr schimpfen, selbst wenn alles Scheiße ist? Natürlich grenzt man sich ab. Man MUSSTE einfach eine so harte Schale entwickeln an der Front. „Soll er doch reden, der Kasperl.“ solche Sätze retten einem im Gastronomie-Alltag das Leben. Dass es bei alldem nur ums Geld geht, ist klar. Dem Unternehmer geht es finanziell genauso schlecht wie dem Koch, aber das Gericht kassiert jetzt auch noch. Das ist keine Gerechtigkeit. Das ist Perversion.
Ich selbst, kämpfte unzählige Male um meine mindesten Rechte. Verweigerte das Tragen von Stöckelschuhen im Dienst (Zahlt mir der Dienstgeber später leicht die Invalidität?). Vier Schichten Spät- und dann drei Frühdienste. Zwischen Spät und Frühdienst 5 Stunden Pause. Wie soll ich mich in diesen 5 Stunden wieder hübsch machen ohne Schönheitsschlaf? Nicht mit mir.
Hätte ich für jede Beschimpfung in der Gastronomie in den letzten 20 Jahren 1 € gekriegt, ich müsste nie wieder arbeiten. Ob uns das abgehärtet hat? Bestimmt. Ob wir nicht trotzdem einen verletzlichen Kern haben? Wer weiß. Wir würden ihn nicht zeigen. Weil sofort einer seinen Profit daraus zieht. Einfach zum Nachdenken.

© Vivienne_Féroche 2025-04-10

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