Auf Krawall gebürstet

Daniel Berger

von Daniel Berger

Story

In der Nähe der Blauen Moschee falle ich auf einen blöden Trick rein. Vor uns geht ein Schuhputzer, der in Eile zu sein scheint. Vielleicht ist er auf der Flucht. Jedenfalls bemerkt er scheinbar nicht, wie ihm die Bürste aus der Tasche rutscht. Doch das ist alles einstudiert und meine Reaktion fest eingeplant.

Ich hebe die Bürste auf, nähere mich dem Schuhputzer, der erleichtert lächelt, als er sie in meiner Hand entdeckt. Er bedankt sich euphorisch und besteht darauf, mir als Finderlohn die Schuhe zu putzen. Ich lehne ab, dabei haben meine Adidas eine Reinigung längst nötig. Der Kerl bleibt hartnäckig, er will seiner Dienstleistung nachgehen.

Na gut, dann mach mal. Großer Fehler. Und irgendwie ahne ich das auch. Hinter einem kleinen Laster gehen wir in Deckung. Offenbar ist das kein lizenzierter Schuhputzer, der sich nun mit einer übel riechenden Paste an meinen ausgelatschten Sneakern zu schaffen macht. Ich schaue mich nervös um, hoffentlich entdeckt uns niemand, sie werden mich noch verhaften! Ich sehe mich schon mit fünfzig anderen Gaunern in einer Zelle hocken. Ein Eimer als Toilette, Zeitungspapier als Klopapier. Dabei wollte ich das gar nicht, Euer Ehren, aber er hat mich geschickt manipuliert! Hätte ich gewusst, was für Konsequenzen das haben wird – ich hätte die Bürste liegen gelassen. Ob mich die Bundesrepublik retten würde? Wohl nicht.

Der Schuhputzer schrubbt unbehelligt weiter und erzählt routiniert seine Geschichte: Er stamme aus einem kleinen Kaff bei Ankara, er sei bettelarm, habe dreizehn Kinder und drei Frauen, die daheim auf Geld und Liebe warteten. Ich glaube ihm kein Wort.

Der Kerl wischt und putzt, erst den einen, dann den anderen Schuh. Und sie glänzen, als er fertig ist – und seine Hand ausbreitet. Naiv hatte ich angenommen, er würde das alles kostenlos tun, als Dank dafür, dass ich ihm die Bürste aufgehoben habe. Ich dachte, ich sei ein guter Mensch, der gute Mensch von Stambul, der wenigsten einmal das Richtige getan hat. Ich gebe ihm zwei Türkische Lira als Trinkgeld, was zu diesem Zeitpunkt etwa einem Euro entsprach. Davon, so meine Vorstellung, könnte er seiner Familie ein neues Anwesen kaufen, ein schönes Haus mit zwei Badezimmern und einem Gäste-WC. Was würden seine Nachbarn für Augen machen!

Der Schuhputzer lacht und verlangt zwanzig Lira. Zwanzig?! Nun wirklich nicht. In meiner Hosentasche finde ich noch eine Münze, die lege ich oben drauf und will nun endlich weiter. Die Miene des Schuhputzers verfinstert sich, er versteht jetzt keinen Spaß mehr, er will sein Geld, zwanzig Lira, aber sofort. Er flucht und zetert, stellt sich uns in den Weg. Wir drehen um und eilen davon. Der Schuhputzer bleibt schimpfend stehen und schleudert uns die Bürste hinterher. Sie verfehlt mich nur knapp und landet polternd auf der Straße.

Diesmal lasse ich sie liegen.

© Daniel Berger 2021-08-05

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