Aufreißen – auf Reisen

Natalie Meyer

von Natalie Meyer

Story

Das Bein von Schmutz bedeckt, ein unsäglicher Gestank in der Luft. Müll, Müll, überall Müll. Smokgrauer Himmel. Blaulos, wolkenlos. Kinder, Kinder, überall Kinder. Offene Kanäle überall, sie, Hühner und Ziegen sich tränken und Fäkalien herumschwimmen. Dann der Strand, auf den habe ich mich so gefreut. Fehlanzeige. Müll auch hier. Vaters Stimme in meinem Ohr. “Freiwillig willst du zu den Primitiven? Was soll das?”

Es packt mich einer am Arm. Einer von diesen Primitiven, würde Vater sagen. „Hey beautiful, wanna marry you! Please young lady, I love you!“ Schnell weggehen. Aber er hält mich fest, lässt mich nicht los, bindet sich an mich. Der Impuls zu schreien drängt sich in mir auf. Ich drehe mich um, sage mit schwacher Stimme: „Let me go, please“. Er hebt die Hände ergebend hoch, ich kann seine weißen Handflächen sehen. „Sorry, sorry, sorry“, murmelt er. Ich gehe mit schnellen großen Schritten davon.

Meine Unterkunft besteht aus einem Doppelbett in einer afrikanischen Gastfamilie, mein Bett muss ich mir mit einem anderen deutschen Mädchen teilen, deren Namen ich in der ersten Nacht noch nicht einmal kenne. Die Dusche besteht aus einem dunklen stickigenRaum ohne Licht, der kleine grünliche Wasserstrahl stinkt und wird von Fliegen umkreist.

Neben der Toilette ein großer Eimer, in dem man nach Benutzung das Klopapier werfen muss, der Wasserdruck der Spülung ist zu schwach. Ich sehe die rötlich-braun-gelben Farben des Papiers im Eimer durchsickern. Zum Essen gibt es Reis, der so weiß ist wie meine Haut. Jeden Abend. Gebraten, geräucht oder zu einem Reisball zusammengequetscht. Denkt ihr ich merke nicht, dass es immer noch Reis ist?

Mit Jogginghose bekomme ich Zutritt in den edelsten Club von Accra. Dort fühle ich mich wie ein Stück Fleisch.Wie Marktschreier brüllen sie mir ihre Angebote entgegen: „You have to feel the body of a black man, you can’t compare it with your boys in Europe!“. Bald begreife ich, dass es für sie etwas Besonderes ist, eine Geste der Verehrung und keine Beleidigung. Die anderen Mädchen nutzen den Sextourismus aus, werden in dicken Autos von ihren Liebhabern herumgefahren.

Ich bin immer in überfüllten Kleinbussen unterwegs, Tro-Tros heißen sie. Im Bus stehen Menschen auf, damit ich mich setzten kann. Wenn ich mich weigere, empfinden sie das als persönliche Beleidigung. Und ich denke an Rosa Parks. Der Fahrer erklärt mir: „It’s because of your money“. In einem Slum verteilen wir Deutschen eine Woche später mitgebrachten Plunder. Kinder umringen uns, umarmen uns, reißen uns die Spielsachen aus den Händen.

Am Flughafen in Accra. An meiner Schulter ein 18-jähriges Mädchen aus München, die nicht aufhören kann zu weinen. Kate heißt sie. Ironischerweise heult sie wegen William, den sie zurücklässt. Ich lande am frühen Morgen in Frankfurt.. Genüsslich halte ich die Hände auf der Toilette unter warmes, sauberes Wasser. Weißer Marmor, surreal. Mich spricht auf der Straße niemand mehr an.

© Natalie Meyer 2022-08-31

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