von Sonja M. Winkler
„Matrimonio di convenienza“ gibt literarisch wenig her, ist purer Kitsch, aber gut geeignet, meinen italienischen Wortschatz aufzupolieren. Ich fand den Roman in einem offenen Bücherkasten und nahm ihn mit nach Kreta. Ich reise nie ohne Lektüre.
G., deren Gast ich war, ist studierte Altphilologin. Sie übersetzt lateinische Inschriften aus dem Stand, kann Alt- und Neugriechisch und teilt mein Interessefür Etymologie.
Was Wörter und deren Ursprung angeht, sind wir beide „a bit nerdy“.
Vielleicht bin ich von Natur aus ein Trüffelschwein, mit besonderem Spürsinn ausgestattet, die Wühlscheibe immer im lexikalischen Erdreich, Wörter aufstöbern.
Auf Seite 279 glitzert „un mastodontico anello di smeradi“, ein protziger Ring (anello), besetzt mit Smaragden (smeraldi), den die Heldin zum Geburtstag geschenkt bekommt.
„Mastodontico“ ist ein neues Wort für mich. Aber irgendwo ist es mir schon begegnet. Im Tiergarten Schönbrunn? Jedenfalls erinnern die Bestandteile (masto- + dont-) an Mastektomie, die Entfernung von Brustgewebe, und Paradontose.
Ich wende mich an G. Keine 5 Minuten, und wir haben die Lösung.
Als Mastodonten, dem Wortsinn nach „Zitzenzähner“, bezeichnet man ausgestorbene Rüsseltiere, zu denen Elefanten des Tertiär und Mammuts zählen. Und die waren wirklich kolossal (mastodontico).
Auch auf story.one find ich so manche lexikalische Trüffel. Gestern stieß ich auf „Kanapee“.
Diesen Sommer war ich mit G. an der Alten Donau. Da kamen sie zur Sprache, die lästigen Mücken, die Gössn, le zanzare, lots of mosquitos.
G. nannte das griechische Wort für „Stechmücke“, und die lautliche Ähnlichkeit mit „Kanapee“ war frappierend. Ich stellte mir die Frage: Was hat die Mücke mit dem Kanapee zu tun?
Ungewöhnliche Gedankenverbindungen schrecken mich nie ab. Ganz im Gegenteil, ein Grund, ihnen erst recht nachzugehen. Und ich war auf der richtigen Spur.
Das Kanapee ist, wie wir wissen, eine Art Sofa. Es kommt im 18. Jahrhundert aus Frankreich zu uns. Das latinisierte cōnōpium „Himmelbett mit Baldachin“ war ursprünglich eine mit Mückennetzen geschützte Liegestatt und geht wiederum zurück auf griechisch kōnōps „Stechmücke“. Bingo.
Nun sind Kanapees auch garnierte Weißbrotscheiben. Der Grund, weshalb sich die Bedeutung von Liegemöbel auf Appetithäppchen verschoben hat, mag im üppigen Aufbau der Brötchen zu finden sein. Kaviar, geräucherter Lachs und Schinkenröllchen sitzen auf den Weißbrotschnitten wie Zierkissen auf einem Sofa.
Ich kann noch einen draufsetzen. Im Englischen gibt es das Etymon auch: canopy. Baldachin, Sonnensegel.
„Matrimonio di convenienza“ ist seltsamerweise im englischen Adelsmilieu angesiedelt. Wäre der Roman auch in englischer Sprache verfasst, schritte die Heldin auf dem Landsitz durch eine Allee, a canopy of trees, die Bäume, ein blättriges Schutzdach.
Wetten, dass aus der „Zweckehe“ noch eine Liebesbeziehung wird? So schlösse sich der Kreis zum Himmelbett.
© Sonja M. Winkler 2022-12-10