Baader als bundesdeutscher Baal – Für Flaco

von Jamal Tuschick

Story
München 1970

Rainer Werner Fassbinder hält Brechts Baal für die Rolle seines Lebens. Er kommt mit Trauerrändern unter den Nägeln zum Set. Waschen kann ich mich, wenn ich tot bin. 1970 adaptiert Schlöndorff Brechts dramatisches Debüt aus dem Jahr 1920 für das „Kleine Fernsehspiel“. Er hat sich mit Literaturverfilmungen einen Namen gemacht. Seine Vorbilder leben jenseits des Rheins. Die erste Reihe französischer Regisseure lässt ihn gelten. Er assistiert Jean-Pierre Melville. Seinen Baal kennt die gleichgültige Welt als Leiter des Münchner „antitheaters“. Fassbinder kann erst einen Film vorweisen. Soeben betritt er die große Bühne. Als Baal meint er, nur sich selbst ins Spiel bringen zu müssen. Noch weiß man außerhalb seiner Theater- und Filmfamilie nicht, wie ernst es Fassbinder ist mit dem Vitalismus und der Tyrannei. Das sind Baals Domänen in Schlöndorffs Lesart.

Brecht versteht Baal als einen, der besingt den Sommer im Herbst und nimmt sein Publikum wie es kommt. Seine Abrichtung war ein Schlag ins Wasser. Ungebrochen wird er zur Zumutung für die Gemäßigten in ihren Käfigen der Zivilisation. Baal wird zum Totschläger an seinem Freund Ekart. Er wird räudig und krepiert. Baal schweift aus in der Tradition von François Villon. Er zelebriert das große Fressen an den Trögen der Unmittelbarkeit. Mit Champagner in die Spitalschänke und da alles aufmischen. Auf Schwäche reagiert Fassbinder mit Stärke und hält das für erwünscht. Ihm Hörige verlädt er in die Hölle. Er weidet sich am Unglück anderer.

„Ich kaufe ganze Wälder“, bramarbasiert ein Entrepreneur im Film. Auf dem Amazonas lehrt er die Wälder schwimmen. Baal führt sich auf, „was kann ich dafür, wenn dein Wein, den du mir gibst, mich besoffen macht!“ Die Gastgeberin erliegt der Grobheit des Gastes. Sie folgt ihm in eine Spelunke, um sich demütigen zu lassen – „Von seinem ersten Auftauchen unter gesitteten Menschen bis zu seinem entsetzlichen Ende, mit seinem ungeheuerlichen Verbrauch von Damen der besten Gesellschaft.“ Fassbinder verlangt von der Ehebrecherin, einen Deklassierten zu küssen. Den Randbewohner spielt Günther Kaufmann im Kittel. Der Underdog darf am Establishment schnuppern und wird dann wieder rüde zurückgescheucht in seine Ecke. „Baal“ wird Kaufmanns Entrée in das Fassbinder-Universum. Dabei sind schon Hanna Schygulla und Irma Hermann, die Baals Hauswirtin spielt. Sie schon so verknattert wie wir sie kennen. Sie sagt: „Mein Dachboden ist kein Bordell.“ Mehr Text hat sie nicht. Baals Bett wird nicht kalt. Schulmädchen stehen Schlange: „Zieht euch aus und dann kommt her. Ich nehme euch gemeinsam heran.“ Es gibt Klimbim-Stimmungen. Irm Hermanns Spiel lässt an die großen leeren Gesten und das rauschende Nichts einer Elisabeth Volkmann denken. Fassbinder stellt fest: „Ich bin betrunken und ihr schwankt.“ Die Menschheit steckt in der Entfremdung. Wenn sie weiblich ist, dann wird ihr geholfen, bis sie vor Scham und Schmerz ins Wasser geht. Helene Weigel findet das Ansehen ihres Mannes von Fassbinder (und Schlöndorff) demoliert. Am Abend der ARD-Ausstrahlung verfügt sie (als Inhaberin der Urheberrechte) „Baal“ ins Archiv. Vierundvierzig Jahre lang darf der Film nicht gezeigt werden.

© Jamal Tuschick 2024-06-23

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich
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AndreasBaader, Baal, RainerWernerFassbinder