von Kurt Fleischner
Ich bin ja dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Im Sommer 1987 hatte ich zufĂ€llig eine Frau kennengelernt, die als Regieassistentin beim Film tĂ€tig war und hatte so eine Rolle als Edelstatist in âFeuersturm und Ascheâ erhalten. Gedreht wurde in Zagreb, ich saĂ am Tisch mit den Hauptdarstellern, darunter Jane Semour, meine beiden Kinder liefen einige male durch das Bild. Einige Monate darauf kam abermals ein Anruf, in dem mir meine Bekannte mitteilte, dass es am nĂ€chsten Tag ein Casting fĂŒr einen internationalen Spielfilm geben wĂŒrde. Ich sollte unbedingt mit meinem Stiefsohn Florian dort vorsprechen, man wĂŒrde ein Kind in seinem Alter fĂŒr eine gröĂere Rolle suchen.
Es handelte sich um eine internationale Produktion, der Film hieĂ âDer Zugâ und handelte von der Reise Lenins von ZĂŒrich nach Petersburg. Ben Kingsley spielte Lenin, Stars wie Lesley Caron, Dominique Sanda und Jason Connery spielten ebenfalls mit. Regie fĂŒhrte Damiano Damiani, der zuvor den Film âAllein gegen die Maffiaâ gedreht hatte. Wir fuhren zu einer Location in Heiligenstadt, Daminais Assistent nimmt Florian in Augenschein und er bekommt die Rolle. Dann musterte er mich und sagte: âand he could play Abrahamovic…!â Und zack -auch ich hatte eine Rolle mit vierzig Drehtagen und mehreren, kleinen Dialogen.
Ich bekam das Drehbuch, ĂŒbte mit Florian den englischen Text und lernte auch meine Textpassagen auswendig. Die einzige, gröĂere Szene, in der ich prominent vorkam, wurde jedoch noch vor Drehbeginn gestrichen. Einer der ersten Drehorte war das Wiener Rathaus. Da kam auch schon das âAktionâ vom Kamera Assistenten, Ben Kingsley kam die Prachtstiege herunter, klopfte mir auf die Schulter und sagte: âOh, Abrahamovic. You are also here?â Ich erwiederte den Satz, den ich hunderte male geĂŒbt hatte: âI consider it our duty!â. Da war Ben Kingsley auch schon wieder weg. In einem weiteren Dialog durfte ich zwei SĂ€tze mit Dominique Sanda wechseln.
Ich gehörte zur Gruppe der Mitreisenden und wir befanden meistens in der NĂ€he der Hauptdarsteller oder spazierten irgendwo durchs die Szene. Bei der Abreise aus ZĂŒrich, gedreht wurde die Szene am Bahnhof Heiligenstadt, mussten wir uns aus dem Fenster neigen und die Marsellaise anstimmen.Endlich ist der Film fertig. Er lĂ€uft als zweiteilige Serie im Fernsehen. Florian ist immer wieder im Bild, er kommt entzĂŒckend rĂŒber. Die meisten Szenen in denen ich zu sehen gewesen wĂ€re, waren rausgeschnitten worden. Nur hin und wieder stehe ich irgendwo im Hintergrund oder stapfe kurz durchs Bild. Die kurze Sequenz mit Ben Kingsley auf der Rathausstiege, dauert gefĂŒhlt eine halbe Sekunde. Beim Wortwechsel mit Dominique Sanda im Zugabteil stehe ich im Schatten und bin deshalb fast nicht zu sehen. Ansonsten gehe ich noch einige mal durchs Bild oder stehe irgendwo im Hintergrund. Das war alles, was von vierzig Drehtagen ĂŒbrig geblieben war. DafĂŒr wĂŒrde ich wohl kaum den Oscar fĂŒr den besten Nebendarsteller bekommen.
© Kurt Fleischner 2020-06-03