Bereit

Maria Oberhammer

von Maria Oberhammer

Story

Das Schildchen „Nüchtern“ baumelte schon an meinem Bett. In der Früh durften Rosa und ich zwar noch ein paar Schluck Wasser trinken, aber das war es dann auch. Die leise Spitalsnacht war in den frühen Morgenstunden einem geschäftigen Treiben gewichen. Tür auf, Tür zu! Das Frühstück, die Putzfrauen, die Krankenschwestern, die Visite…

Immer wieder vibrierte das Handy auf meinem Nachtkästchen. Meine Freundinnen und Freunde schrieben mir ermutigende SMS. Ein gutes Gefühl, dass so viele an mich dachten. Auch mein Discman mit den Kopfhörern lag griffbereit neben mir. Während ich den Songs von Alanis Morissette lauschte, schweifte mein Blick zum Fenster. Der Herbstwind rüttelte an den Ästen der Bäume und heftiger Schneeregen klatschte ans Fenster. So geschäftig es draußen war, so friedlich fühlte es sich in mir drinnen an. Die Verzweiflung des Vortages war einer tiefen Zuversicht gewichen und ich hätte nicht einmal sagen können warum. Dankbar nahm ich die letzten Glückwünsche per SMS entgegen, telefonierte noch mit meinen Kindern und Eltern. Glücklich und berührt las ich in dem Buch vom träumenden Delphin, das mir Ben am Abend zuvor geschenkt hatte. Dann bekamen Rosa und ich eine blaue Beruhigungstablette. Rosa wurde zuerst geholt. Bei ihr sollte die rechte Brust operiert werden, bei mir die linke. Wir sahen uns fest in die Augen und wünschten uns gegenseitig viel Glück.

Nun war der Platz neben mir leer. Ich atmete tief, alles war still. Die Minuten zogen sich in die Länge. Noch einmal ging ich das Procedere, das gleich auf mich zukommen würde, in Gedanken durch: Also zuerst die Narkose. Danach schneiden die Ärzte den Tumor hinaus, vielleicht wird es länger als eine Stunde dauern. Dann sofort ein Schnellschnitt des Tumors, um seine Beschaffenheit festzustellen und -nur wenn notwendig! – die Entfernung der ganzen Brust. In jedem Fall Entfernung und Untersuchung des Wächterlymphknotens. Zum Schluss dann das Setzen einer Lymphdrainage.

Endlich kamen mich die Pfleger holen. Ruhig schloss ich die Augen, während das Bett samt mir auf dem Gang in Richtung OP-Saal rollte. Vor meinem inneren Auge erschien ein großer, weißer Vogel. Auf seinen Flügeln breitete ich nun die Arme aus und mein Körper ruhte vertrauensvoll auf seinem. Hier bin ich! Nimm mich, mein Leben, mein Universum! Führe mich! Wie es auch ausgeht, es wird zu meinem Besten sein! Du trägst mich, immer!

Im Operationsbereich musste ich auf die OP-Liege wechseln und das Nachthemd ausziehen. Kühle Luft strich über meine nackte Haut. Ich sah in die Augen der Narkoseärztin. Sorgsam verabreichte sie mir die Spritze mit den sanften Worten: „Jetzt werden Sie bald schlafen!“ Dann entschwanden mir die Sinne.

© Maria Oberhammer 2020-09-22

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