Berlin

Eine junge Frau am Fuße des Kollwitzplatzmarktes, bunte Winterjacke, karierte Hose, Dreadlocks. Umgeben von einer nebulösen Magie, die den gesamten Markt vitalisiert. Sie legt den Kopf in den Nacken, schließt ihre Augen, während sie den allzu bekannten Song mit ihrer Akustikgitarre zu ihrem Eigenen macht. Ihre Stimme, gar nicht außergewöhnlich, kaum mein Innehalten wert. Und doch ist es mir unmöglich, meinen Blick von ihr abzuwenden. Eine unnennbare Faszination.

Geleitet von ihrer Musik reisen meine Gedanken an ferne Orte, rufen längst entfallene Erinnerungen auf. Der Überwältigung einer frisch Hinzugezogenen geschuldet, schenkte ich ihr bisher kaum Beachtung, jener Frage, wodurch sich Berlin auszeichne. Erstmals fühle ich mich zur Suche nach der Antwort bewegt, glaube sie in ihren Worten, ihren Tönen finden zu können.

Beifall, ihr Nicken eine reine Höflichkeit, denn all die Zuhörenden lassen sie kalt. So auch ich, die ich bereits seit vielen Songs gebannt ihrer Darbietung lausche. Die junge Frau, sie spielt für sich selbst. Mitreißend, ihre leidenschaftliche Lebendigkeit. Zufriedenes Lächeln, sanftes Mitwippen im Takt. Das Fehlen von Visitenkarten und CDs macht sie zu einem ephemeren Geheimnis. Unidentifizierbar, unwiederbringlich.

Du leuchtende Persönlichkeit, die du dich hinter dieser gewöhnlichen Stimme versteckst, verrate mir dein Geheimnis! Durchströmt von unstillbarer Sehnsucht hänge ich an den Lippen jener Frau, die dich beherbergt. Ich zwinge meinen trägen Körper, deiner Anziehungskraft widerstehend den Markt zu verlassen. Doch reicht ein Zwinkern und ich befinde mich wieder in deiner Gegenwart, schwinge sanft im Rhythmus der Musik. Vereinnahmende Töne, sie locken mich in eine Welt, die nicht die Meine.

Diese deine Sphäre, in der jene Einzigartigkeit unscheinbar hinter Alltäglichkeit verborgen. Du leuchtende Persönlichkeit, elementarer Bestandteil eines Kollektivs an unerschöpflicher Helligkeit. Dein Strahlen neben einer Vielzahl von Himmelskörpern, Universum der Unikate. Euer Licht, Geburtsort einer Metropole der Authentizität, einer Stadt mit Charakter, deren Nachbilder so persistent wie die Silhouette der Sonne vor meinem inneren Auge.

Die junge Frau am Kollwitzplatzmarkt, ich trage sie in mir. Inspiriert zu neuen Blickwinkeln glaube ich die Antwort auf meine Frage nicht länger in ihr zu finden, suche sie stattdessen in deinem Wesen, suche sie in jener Eigentümlichkeit, welche Personen wie sie funkeln lässt. Deine Einzigartigkeit macht sie zu meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart, meiner Zukunft. Konserviert als Erinnerung ordnet sie sich in die Reihe meiner Wegweiser, begleitet mich auf der Suche nach meinem Pfad zu euch.