Beste bittere Medizin

Martina Suthoff

von Martina Suthoff

Story

Ich mag Schokolade. Schon immer. Das heißt, als kleines Kind mochte ich noch lieber Kekse. Angeblich hätte ich, wenn ich keine Kekse bekommen hätte, gar nichts gegessen. So bekam ich es erzählt. Und damit ich wenigstens ein paar Kalorien bekam, fütterte mich meine Mutter dann eben mit Keksen statt mit Milchbrei oder Kartoffeln mit Gemüse. Zu ihrer Beruhigung. Zu meiner sicher auch. Groß geworden bin ich trotzdem. Naja, mit 1,60 m vielleicht nicht ganz so groß, auch dünn bin ich geblieben, aber immerhin bin ich schon fast 60 Jahre alt.

Irgendwann habe ich dann auch gelernt, andere Nahrungsmittel zu mir zu nehmen, sonst wäre das wohl nichts geworden mit meinem jetzigen Alter. Irgendwann habe ich gelernt – Schokolade zu essen. Und zu lieben. Noch mehr als Kekse. Erst war es Schokolade in Form von Kakao mit Haferflocken. Das war früher das Frühstück meines Vaters, bevor er mit dem Bus ins Büro fuhr. Eine Tasse Kakao mit Haferflocken. Der Kakao bestand aus Instantpulver und wurde mit heißem Wasser aufgegossen. Dazu gab es Kondensmilch aus Ermangelung der Kuhmilch, die sich meine Eltern nicht leisten konnten. Und dort hinein kamen die Haferflocken. Diese Pampe, das muss man so sagen, löffelte er dann Morgen für Morgen aus. Und ich, zwei oder drei oder vier Jahre alt, durfte natürlich helfen. Das war sogar hoch erwünscht, so hatte ich schon mal ein wenig Substanz im Magen. Das war sogar besser als die Kekse, die er mir übrigens oft abends von unterwegs mitbrachte.

“Papa, haste mir was mitbrachte?“, war meine allabendliche Frage, wenn er nach Hause kam. Und oft öffnete er seine Aktentasche und zog für mich feierlich eine Tüte “Keksbruch” heraus. Das war billiger und reichte für mich Knirpsin allemal. Manchmal und auch dann, als ich schon etwas größer war, bekam ich eine Tafel Schokolade. Vollmilchschokolade, die ich mir gut eingeteilt Stück für Stück auf der Zunge zergehen ließ.

Einmal, als mein Vater krank im Bett lag mit einer Magen-Darm-Infektion, sah ich auf seinem Nachttischchen ein paar Stück Zartbitter-Schokolade liegen. Die sei gut für den Darm, die stopft, bekam ich auf meinen fragenden Blick als Antwort. Und die müsse ich dem Papa lassen. Heimlich und augenzwinkernd steckte der mir aber ein Stückchen zu. Allerdings beließ ich es freiwillig bei diesem einen Brocken, denn für meinen kindlichen Gaumen war das doch eine Spur zu herb. Dann war das wohl doch eher Medizin für den Papa.

Später, viel später entdeckte ich diese “Medizin” auch für mich. Aber nicht für den Darm zum Stopfen, sondern für die Seele zum Streicheln. Nicht zu bitter, aber ein wenig dunkler darf sie schon sein. Und auch ruhig jeden Tag. Mit der Seele muss man sich schließlich gut stellen. Zart schmelzende, leicht herbe Schokolade, mit vielleicht einer kleinen Füllung Orangenmarzipan oder einer winzigen Note Rum oder mit getrockneten Himbeerstückchen – welch ein Genuss und die beste Medizin für die Seele.

© Martina Suthoff 2022-10-05