Biafra-Kind

Walter Tiefenbacher

von Walter Tiefenbacher

Story

Ein Begriff aus meiner Kindheit. Sogar ich wurde damit bedacht. Ich war ein zartes und schmÀchtiges Kind. Und sehr heikel was das Essen anging. Da hatte es meine Mutter nicht leicht mit mir. Ob meine SchmÀchtigkeit mit der Heikelkeit beim Essen tatsÀchlich in einem Kontext stand, nun das sei dahingestellt.

Was hat es mit diesem Begriff auf sich? Der Biafra-Krieg war ein nigerianischer BĂŒrgerkrieg. Dieser dauerte von 1967 bis 1970. Ziel war die Sezession von der Bundesrepublik Nigeria im SĂŒd-Osten des Landes. In diesem grausamen Krieg sollen 2.000.000 Menschen umgekommen sein, davon 750.000 Kinder. Gegen Ende des Krieges wurde Biafra regelrecht ausgehungert. Insbesondre Kinder hatten darunter zu leiden. Die Bilder dieser Kinder mit den BlĂ€hbĂ€uchen gingen um die Welt. (Anm. Hungerbauch auch Aszites genannt)

ZurĂŒck zu mir. Ich war noch im Kindergarten als dieser schreckliche BĂŒrgerkrieg wĂŒtete. Und dunkel kann ich mich daran erinnern, eben an diese Bilder, die ich wohl im Kurier, den mein Papa jeden Tag kaufte, gesehen haben muss. Und da gab es einen Bekannten meiner Eltern, der mich immer als Biafra-Kind bezeichnete. Und einen Hungerbauch hatte ich nun wirklich keinen. Ich weiß bis heute nicht, warum mich dieser Mann mich immer wieder so nannte. Denn ich habe ihn als durchaus sympathisch und kinderlieb in Erinnerung. Wollte er mich motivieren mehr und besser zu essen. In Österreich ging es uns in diesen Jahren ja sehr gut. Aber mich so zu bezeichnen, empfinde ich heute als Erwachsener, gegenĂŒber dem furchbaren Leid der Kinder seinerzeit in Biafra, geradezu als pietĂ€tlos. Oder gehe ich da zu hart ins Gericht.

Ich lese gerade das Buch von Johannes Okoro (emeritierter Bischof der altkatholischen Kirche in Österreich) ‘Die Sonne geht an keinem Dorf vorĂŒber’. Darin verarbeitet er auch seine unmittelbaren Erinnerungen an diese Zeit, die er als Angehöriger der Igbo in diesem Teil Nigerias und der kurzen Zeit der Eigenstaatlichkeit von Biafra, ebendort erlebte und erlitt. Diesen schrecklichen BĂŒrgerkrieg. Er war damals 18 als diese Hölle auf Erden ausbrach.

Und die LektĂŒre dieses sehr berĂŒhrenden Buches hob diese meine Erinnerungen an den Biafra-Krieg und die Biafra-Kinder wieder in mein Bewusstsein. Und zeigt mir auf, wie gut es uns Kindern in Österreich damals ging. Ein friedliches Land, volle KĂŒhlschrĂ€nke, ein neu erbauter Kindergarten- und detto Volksschule erwarteten mich. Ich darf Skifahren gehen und fange auch bald mit Fußball an. 1970 meine erste bewusst erlebte Fußball WM in Mexiko. Unvergesslich das Finale Brasilien vs Italien, 4:1, und ein ĂŒberragender Pele.

Im Gedenken an die Biafra-Kinder werde ich jetzt eine Kerze anzĂŒnden. Und dankbar sein fĂŒr eine Kindheit, die nicht von einem Krieg geprĂ€gt war, den allerdings die Eltern meiner Generation sehr wohl erleben mussten. Die 60er Generation, der ich angehören darf, wurde von Kriegen verschont. Zumindest in unseren Breiten. So möge es bleiben. Hoffentlich.

© Walter Tiefenbacher 2021-04-11