von Lisa Zauner
Ich liege vor dir auf dem Boden. Ich bin nackt und mein Herz liegt in meinen Händen. Das Blut tropft mir von den Fingern. Mein Blick ist flehentlich. Hier, sage ich. Hier hast du es. Du siehst mich an. Du bist so groß. Ich kann deine Augen nicht sehen. Ich weiß nicht, was du denkst. Mein Körper schreit vor Schmerzen. Das Loch in meiner Brust ist groß. Die Haut aufgerissen. Überall so viel Blut. Ich habe alles getan, was du verlangt hast. Du wolltest alles sehen. Du wolltest keine Geheimnisse. Ich gebe dir die ganze Wahrheit. Ich zeige dir meinen Schmerz. Siehst du, wie ich langsam sterbe? Du scheinst komplett unbeeindruckt und ich verliere meine letzte Hoffnung.
Nein, schreie ich. Ich schreie so laut, dass die ganze Welt es hört. Die Tränen laufen über mein Gesicht, ich verstehe nichts mehr. Sieh mich an, ich will deine Augen sehen. Bleibe da. Lass mich nicht sterben. Doch du bewegst dich keinen Millimeter. Du siehst nach oben. Ich folge deinem Blick. Hier ist es zu hell, sage ich. Nimm endlich das verdammte Herz.
Bald schlägt es nicht mehr. Doch alles umsonst. Du tust nichts. Und da spüre ich den Wind. Ich höre sie kommen. Die Dämonen der Vergangenheit. Ich höre ihr Flüstern. Ich höre ihren Fluch. Ich sehe mein Herz an. Wie schön es ist. Warum mir das erst jetzt auffällt? Es hat so schön geschlagen, in meiner Brust. Warum habe ich dir so eine Gewalt angetan? Doch bevor ich noch etwas sagen kann, sind sie schon da. Mit ihren Klauen und ihren scharfen Zähnen. Ein frisches Herz zum Verzehr. Ein Festtag für uns alle.
Ich will dir noch was sagen, bevor es zu spät ist. Ich wollte es versuchen, das will ich dir sagen. Ich wollte mich verschenken, doch ich habe nicht mit diesem Schmerz gerechnet. Ich wusste nicht mehr, wie weh das Herz tut. Und bevor ich dir noch das Wichtigste sagen kann, schlagen sie zu. Sie reißen mich in Stücke, sie zerfetzen mich. Ich löse mich in tausend Teile auf. Ausgespuckt in den verfaulten Gräben einer Vergangenheit, die eigentlich gar nicht mehr existiert. Als ich das verstehe, ist es zu spät. Sie haben alles von mir mitgenommen. Und als es still und dunkel wird, höre ich eine Stimme.
Vertrau mir.
Ich spüre Licht, es dringt durch die Dunkelheit. Ich erkenne nichts, es blendet so sehr. Vertrau mir. Ich spüre Wärme und wie sich langsam alles um mich herum in Bewegung setzt. Funken sprühen, alles wird enger. Ich bin nur ein Gedanke und als ich die Augen aufmache, sehe ich plötzlich wieder. Staunend sehe ich Finger und Hände und Füße und Beine. Außer Atem halte ich meine Hand an mein Herz. Es schlägt. Ein Wunder. Ich lebe? Vertrau mir.
Ich bin da und doch nicht mehr ich. Alles ist neu und doch wie vorher. Was ist anders? Ich warte auf etwas Bestimmtes. Ich warte auf den Schmerz. Doch er kommt nicht. Stattdessen spüre ich die Sonne auf meiner Haut. Wärme breitet sich in mir aus. Bin ich wirklich wieder da? Und dann spüre ich deine Hand in meiner. Du lächelst mich an. „Kommst du mit?“, fragst du.
Und noch etwas wackelig auf meinen neuen Beinen folge ich dir.
© Lisa Zauner 2022-08-27