von Walter Weinberg
Michael wollte unbedingt mit mir in Kontakt bleiben und meldete sich schon nach ein paar Tagen. Damit er mich unkompliziert wiedersehen konnte, lud er Alex und mich zu sich nach Hause zum Essen ein. Er wohnte im dritten Bezirk in einer ruhigen Straße. In seiner Wohnung hingen viele Fotos an den Wänden, davon zeigten einige einen Priester im Messgewand. Besonders fielen mir die Schwarz-Weiß-Fotos mit jeweils demselben Mann in SS-Uniform auf! Ich dachte mir nichts dabei, da ich auch Fotos von beiden Großvätern in Wehrmachtsuniform samt Nazi-Adler hatte. Mister-Gay-Austria bat uns mit Aperitifen an den schön gedeckten Tisch. Er bereitete das Essen in der Küche und kam mit einem herrlich duftenden Grillhuhn zurück. Dazu gab es köstliche Salate. Michael war ein charmanter Gastgeber. Auch Alex war mittlerweile seinem Charme erlegen und fühlte sich sehr wohl in Michaels Gesellschaft.
Wie immer trank ich zu viel, und Michael brachte schon die zweite Flasche Rotwein und ein Fotoalbum. Ich war gespannt auf seine Kindheitsfotos. Im Album waren nur Fotos von ihm als Erwachsenen und Gruppenfotos, auf denen alle dieselbe Uniform trugen. Plötzlich bemerkte ich, dass er auf allen Bildern aussah wie ein Nazi aus der Hitler-Zeit! Jeder hatte eine rote Armbinde am Oberarm mit einem Symbol, das einem Hakenkreuz ähnelte. Mein Schock war stärker als der Alkohol in meinem Blut! Ich fragte Michael, was er in dieser Uniform mit der Gruppe macht? Er antwortete: „Das ist meine Burschenschaft in München!“ Er fuhr regelmäßig zu Treffen dieser Gruppierung.
Zusammen mit den Fotos des Nazis in SS-Uniform wurde mir die Situation sehr unangenehm. Ich fragte Michael: „Wer ist dieser Mann auf den Fotos?“ Stolz erklärte er, dass dieser SS-Mann sein Vater sei. Ich war zu betrunken, um mir auszurechnen, ob sich das zeitlich ausgehen würde. Alex blickte mich streng an, um mir zu verstehen zu geben, dass er gehen möchte und ergriff das Wort: „Wir müssen jetzt nach Hause!“ Michael fragte, ob wir noch etwas von dem Huhn möchten? Da wir ablehnten, warf er ein ganzes Grillhuhn einfach in den Müll. Diese Verschwendung gab uns den Rest und wir waren froh endlich aus der Wohnung zu sein.
Michael rief mich ein paar Tage später an und ich bedankte mich nochmals für das Abendessen. Alex verbat mir, mich weiterhin mit Michael zu treffen, der mich aber unbedingt wiedersehen wollte. Ich hatte das Gefühl, Michael wollte mich absichtlich mit seinen Nazi-Fotos konfrontieren, um herauszufinden, ob ich Sympathien für seine Gesinnung habe. Ich konnte seine Zwiespältigkeit absolut nicht verstehen. Irgendwie gab es für mich zwei verschiedene Michael: Zum einen den charmanten Jungen, der stolz ist, schwul zu sein und seine Freizeit gerne in der Gay-Sauna verbringt, zum anderen den Burschenschafter, der keinen Hehl aus seiner Gesinnung macht und stolz seine Hitler-Uniform präsentiert! Zeitlich ging sich seine Behauptung, sein Vater wäre SS-Offizier gewesen, keinesfalls aus!
© Walter Weinberg 2021-07-20