von Erich Stöger
Ich fand es schön unter Geschwistern aufzuwachsen. Kann, muss aber nicht immer schön und einfach sein. So erzählte mir ein guter Freund unlängst, erst kurz aus dem Urlaub zurück und natürlich im Vertrauen, eine Geschichte, die ihm schon länger zusetzt und betrübt. Weißt du, sagt er, ich habe einen Bruder. Und der stellt mich seit Jahren immer wieder vor neue Herausforderungen. Und so begann er zu erzählen.
Vorweg, sagt er, er war immer schon introvertiert, also zurückhaltend und somit auch ein eher zurückgezogener Typ. Aber früher und auch jetzt sehr hilfsbereit! Schon in der Schule so auch im Beruf galten Pünktlichkeit, Korrektheit und Genauigkeit. Seine Arbeit ist sein Lebenselixier. Er blüht in ihr auf, wenn auch manchmal nicht so glücklich. Was dadurch wahrscheinlich auf der „Stecke“ blieb, waren seine nicht vorhandenen persönlichen Kontakte. Beruflich und privat. Er war und ist noch immer, sagt mein Freund sichtbar niedergeschlagen, kein wirklicher „Kontaktfreak!“ Früher nicht und heute nicht.
Irgendwann, so erzählt mein Freund, begann er einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Mein Freund nahm das sehr positiv auf. Aber leider wiederholten sich die offensichtlichen Leiden seines Bruders. Egal ob er meinte, Nachbarn machen „Lichtterror“ um ihn im Schlaf zu stören. Er meinte auch, so mein Freund, dass die firmeneigene Security ihn bespitzelt, weil er ein Auge auf eine Mitarbeiterin hatte. Mein Freund stellte sich natürlich nach einiger Zeit die Frage: Was erzählt er eigentlich seinem Psychotherapeuten? Erzählt er seine „wirklichen Probleme“ oder abgeschwächten Firlefanz? Wem helfen die verschriebenen „Pillen“, dem Problem oder dem Firlefanz, oder keinem von beiden!?
Mein Freund, seine Niedergeschlagenheit ist offensichtlich, leidet unter den in zeitlich absehbaren Abständen immer wiederkommenden Attacken seines Bruders ihm gegenüber. Er sagt, es wird schlimmer. Waren es zuerst einfache Streitereien folgten immer heftigere Ausbrüche. Ich glaube aus deinen Wutausbrüchen, sagte mein Freund zum Bruder, höre ich Neid und daraus folgende Missgunst mir und anderen gegenüber! Beim letzten Mal, erzählt mein Freund, ist er aus unerklärlichen Gründen sogar handgreiflich geworden. Ich bin wirklich verzweifelt, gesteht er mir deprimiert.
Wir diskutieren über alle Möglichkeiten der Ursachen. Woher kommt das Meiden der Öffentlichkeit? Wir vermuten darin die Ursache seine Zurückgezogenheit, seine Beziehungslosigkeit und das Fehlen jedweder sozialen Kontakte.
Schlussendlich kommt die Frage meines Freundes: „Sag, was soll oder kann ich tun. Ich will ihm ja helfen!?“ Was soll ich antworten? Es fallen mir momentan nur banale, althergebrachte Ratschläge ein wie: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ oder „Wunder geschehen immer wieder!“ Selbstnichtglaubend, spreche ich sie ihm gegenüber trotzdem aus.
Ich leide mit meinem Freund!
© Erich Stöger 2023-01-15