Cis, Mann!

Margot Lamers-Zigan

von Margot Lamers-Zigan

Story

Cis ist ein Halbton über C.
Cis heißt diesseits, aus dem Lateinischen übersetzt. Cisgeschlechtlich, häufiger cisgender, bedeutet, dass sich der Mensch mit seinem biologischen Geschlecht identifiziert. Eine Frau mit ihren angeborenen primären und weiblichen Geschlechtsorganen spürt sich als Frau. Gleiches gilt für den cis Mann.
Zu „meiner Zeit“ (liebe Kinder)
…also in der Phase meiner Entwicklung, in der Fragen von sexueller Orientierung für mich eine gewichtige Rolle spielten, war diese Bezeichnung eines überwiegend auftretenden, und lange als selbstverständlich behandelten, Phänomens noch unbekannt. Obwohl bereits schon lange Forschungsgegenstand der Sexualwissenschaft, zerbrach sich der Großteil der Gesellschaft nicht wirklich darüber den Kopf, wie sich Mitmenschen fühlen mussten, die sich selbst nicht so sahen, wie ihr Körper es ihnen vorgab. Oder die sich sexuell nicht für das „andere Geschlecht“ interessierten. Oder sich sexuell anders identifizierten als geschlechtlich.
Zu „meiner Zeit“
…vielleicht finde ich im Laufe des Textes noch einen Ausdruck, der weniger nach „Werther’s Echte“ und Opas Knie klingt. Wer die Werbung noch kennt, stellt an dieser Stelle vielleicht fest, dass die „Echten“ Ende der Neunziger in „Original“ umgetauft wurden, da dieser Markenname lediglich in Deutschland verwendet wurde. Und „Twix“ heißt aus markenrechtlichen Gründen immer mal wieder „Raider“. Auch eine Frage von Identität.
In den Neunzigern waren scherzhafte Umfragen beliebt, in denen bewusst so verwirrend interviewt wurde, dass die Befragten die Begriffe „homosexuell“ und „heterosexuell“ verwechselten. Es wurde also als witzig empfunden, wenn Passanten sich versehentlich als schwul oder lesbisch bezeichneten. Insbesondere, wenn diese älter waren und daher aufgrund ihrer Sozialisierung eine gewisse Distanz zu diesem Thema verspürten. Diese Distanz mögen heute vorwiegend Menschen fühlen, die nicht der Generation Z angehören, wenn es um Begriffe wie beispielsweise „queer“ „trans“, „nicht-binär“, „inter“, „polyamurös“ oder „questioning“ geht.
Empfehlungen für geschlechter- und diversitätssensible Sprache erscheinen auf den ersten Blick verwirrend und werden unterschiedlich angewendet. Die Frage nach dem bevorzugten Pronomen oder die Ansprache mit „Enby“ fühlt sich für manchen fremd an und mag sogar amüsieren. Der Hintergrund dieser sprachlichen Entwicklung ist selbstverständlich aus Sicht der nicht heterosexuellen cis Menschen weniger lustig.
Vorgaben in Bezug auf unsere Sprache erleben wir oft als unangenehm, weil auch sie ein Mittel ist, der eigenen Identität Ausdruck zu verleihen.
Die Definition von normal lautet:
„so [beschaffen, geartet], wie es sich die allgemeine Meinung als das Übliche, Richtige vorstellt“ (Google Wörterbuch).
Glücklicherweise wird es heutzutage nicht mehr als vorwiegend erstrebenswert betrachtet, normal zu sein. Beziehungsweise wird der Begriff in seiner Bedeutung ausgeweitet und gesellschaftlicher Vielfalt angepasst. In dem Wort „Normalität“ schwingt für aufgeschlossene, kreative Seelen mitunter gar etwas Einengendes, Dunkles, Bedrohliches mit. Andere empfinden es in seiner Bedeutung eher als beruhigend. Ein System funktioniert nur mit einem Maßstab der Norm. Schwierig wird es, wenn dieser inhuman angelegt wird.

© Margot Lamers-Zigan 2024-04-10

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Romane & Erzählungen
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Informativ, Inspirierend
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