»Was für Befehle?« Meine Neugierde war geweckt.
»Na, kleine Befehle halt. Es beginnt mit Kleinigkeiten. Fenster minimal abdunkeln, den Kühlschrank für eine Minute vom Strom nehmen – das sind winzige, fast unmerkliche Anpassungen. Nichts, was sofort auffällt oder misstrauisch macht. Aber wenn man die Anweisungen im Detail analysiert …« Er hielt inne, als ob er seine Worte sorgsam abwägen wollte. »Es wirkt, als hätte jemand genau diese Nebensächlichkeiten genutzt, um ein komplexes Netzwerk aus Umleitungen zu erschaffen«, fuhr Kai fort.
Seine Worte hingen in der Luft, und ich stand langsam auf, um erneut zum leblosen Körper hinüberzugehen. »Umleitungen?«, wiederholte ich fragend. Obwohl ich natürlich den Begriff verstand, konnte ich den Zusammenhang allerdings nicht ganz nachvollziehen.
»Nun, stell dir vor«, versuchte Kai es mir anscheinend so einfach wie möglich zu erklären, »du bist ein Hacker, der tief in den Systemen eines Gebäudes wühlen will, ohne dabei eine Spur zu hinterlassen. Du würdest keine auffälligen Bewegungen machen, keine Datenströme manipulieren, die direkt überwacht werden. Stattdessen greifst du auf die vorhandene Infrastruktur zurück, kleine Geräte, die niemand in Verdacht ziehen würde – wie Lampen oder Kühlschränke. Du lenkst ihre Signale um, baust dir damit einen unsichtbaren Weg. Alles, was die Kameras und Sensoren festhalten, ist das Gewöhnliche, das, was alle sehen sollen. Aber die wahre Bewegung, das eigentliche Eindringen, findet tief in den Schichten der Systeme statt, die diese Kleinigkeiten steuern.«
Ich spürte, wie sich mein Kopf langsam füllte mit der Komplexität seiner Beschreibung, doch es blieb das Gefühl, als könnte ich den vollen Umfang dessen, was er erklärte, noch nicht ganz greifen. »Und du kannst diesen unsichtbaren Weg zurückverfolgen?«, fragte ich stirnrunzelnd.
»Natürlich kann ich das. Ich bin brillant, oder hast du das etwa vergessen?« Die spöttische Note in Kais Stimme war nicht zu überhören, doch die Ernsthaftigkeit der Situation hielt mich davon ab, zu sehr auf seine Ironie einzugehen.
»Also gut, wo führt dieser Weg hin?«, drängte ich und wurde langsam ungeduldig.
»Gib mir eine Sekunde.« Stille. Dann ein leises Summen. »Da haben wir’s. Das Signal führt in den Hauptnetzwerk-Server des Gebäudes. Wenn wir dorthin gelangen, kann ich den Weg weiterverfolgen.« Ich nickte entschlossen und wandte mich zur Tür. »Ach, und noch etwas«, fügte Kai hinzu, als ich bereits den Flur betrat, »Diese Umleitung … sie ist nicht nur sauber, sie ist meisterhaft ausgeführt. Derjenige, der das gemacht hat, wusste nicht nur, was er tat. Er hat es genossen.«
Sein Lob für den unsichtbaren Gegner ließ mich für einen Moment innehalten. Ein leiser Schauer lief mir über den Rücken, als ich mir vorstellte, welche Art von Gegner wir hier jagten. Ein Genie mit einem Hang zur Perfektion und einem gefährlichen Spieltrieb.
© Kreative-Schreibwelt 2024-11-06