von Pia Scheiblhuber
Da hängt Kunst an der Wand und tut so wichtig. Eingebildetes macht sich besser eingerahmt. Sonst würde als einzige Begleiterscheinung der Werke nur noch das Erklärschild übrigbleiben. Und das glotzt einen hämisch mit kryptischen Worten an, tut aber mit seiner Nüchternheit doch so, als wäre alles so selbstverständlich, fast schon gar nicht der Rede wert. Oder es gähnt einen mit verschwurbelten Wortschlangen an, die sich einen um Hals und Brust legen, in den Magen bohren. Schwere Atmung und Magenverstimmungen infolge einer verstörenden Zusammenhangslosigkeit zwischen dem, was man sieht und dem, was man liest – wer bleibt davon verschont?
Da hängt Kunst an der Wand und glotzt mich von allen Seiten an. Eigentlich sollte ich diejenige sein, die schaut. Diese spöttischen Blicke kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich drehe mich schwungvoll um, die Augen konzentriert zusammengekniffen, um das Gemälde hinter mir zu erschrecken. Doch das hat anscheinend schon damit gerechnet und sein ernstestes Gesicht angezogen. So mit schwarzen Augen und Muttermal auf der Nase – auch wenn das Bild drei nackte Badende zeigt. Ich fühle mich umzingelt von einer Schar alter Bekannter, die mir so vertraut sind. Über die ich lernte, dass man sie bewundernswert finden darf, denen ich aber noch nie begegnet war. Alles schon mal gesehen, noch nie aber ihren scharfen Blick gespürt. Dieses Gefühl steht in keinem Lehrbuch. Es kitzelt und kribbelt und bohrt und boxt erst, wenn einen dieses von Nägeln gehaltene schweigend Starrende in einem Museumssaal herausfordert.
Da hängt Kunst an der Wand, aber ich interessiere mich nur für den seitwärts schleichenden Mann. Besser gesagt: für seine ausgeklügelte Choreographie, die er aufs Museumsparkett malt. Er tastet sich von einem Gemälde zum nächsten. Schritt nach rechts. Kurz wippen. Kinn fragend heben. Die Nase gefährlich weit in den imaginären Foulbereich vorschieben, der dem Werk als nutzloses Schutzschild dient. Alles abscannen. Dann: Digitalkamera zücken – Smartphone kann ja schließlich jeder. Beute durch den Sucher finden und: klick. Und von vorne: Schritt nach rechts. Wippen. Kinn. Nase. Scannen. Zücken. Drücken. War das etwa ein Blitz? Der ewig wandelnde Wächter setzt schon zum Sprint an. „Haben Sie gerade geblitzt?“ Und der Schleiche-Mann entgegnet nur: „Ha, schön wär’s! Sie haben ja definitiv die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Museen überschritten.“ Blitzlos aber nicht witzlos.
So bin ich auch unterwegs. Inmitten dieser schweigend-starrenden Schar, die sich Kunstwerk nennen darf. Nur weil sie es in ein Museum geschafft hat. Weil elitäre Willkür gerne den Ton angibt. Und dem war ich heute mal brav gefolgt, bin deshalb ins Museum gestolpert. Doch mein Urteil lasse ich mir nicht vorgekaut in den Mund legen. Deshalb stelle ich mich auch mal an einen freien Platz an der Wand, wenn der Wächter gerade nicht schaut. Bin ich dann nicht auch ein Kunstwerk?
© Pia Scheiblhuber 2022-11-18