„Der Vogel linkt uns nicht noch einmal!“, knurrte der Einsatzleiter in den Funk. „Dieses Mal ist etwas Persönliches!“ Der Erpresser und Bombenleger hatte die Polizei wieder und wieder vorgeführt. Besonders ärgerlich: die Bewunderung, die ihm von der Öffentlichkeit entgegengebracht wurde. Die Boulevardpresse verspottete dagegen die Ermittler: „Vollversager!“, „Waldmeister!“, „uniformierte Taugenichtse!“
Die Polizei wusste wenig über ihn. Er war technikaffin, sprach akzentfreies Deutsch und kannte sich bestens mit Geldübergaben aus. Immer wieder nutzte er Züge für seine Aktionen. Einmal ließ er eine Kiste mit Lösegeld einfach wenige Kilometer hinter Hamburg aus einer Apparatur unter einem Zug fallen, während die Ermittler noch 100 Kilometer entfernt auf ihn warteten. Doch diesmal, so glaubten sie, hatte Dagobert einen Fehler gemacht. Er telefonierte mit einem Münztelefon – wie üblich. Er verzerrte seine Stimme elektronisch – wie üblich. Doch diesmal hatte die Polizei das Telefon angezapft. Sie wussten endlich, wohin die Reise ging.
Die Falle war gestellt. Der Koffer – gefüllt mit Papierschnipseln und einem Bewegungsmelder – wurde an der vorgesehenen Stelle in einer Streusandkiste platziert. Dann zogen sich die Beamten zurück, blieben aber in Sichtweite. Scharfschützen bezogen Position, das Einsatzteam saß in einem unauffälligen Wagen, Funkkontakt zur Zentrale, zu den Scharfschützen, zu den anderen Teams. Jeder war bereit.
Doch das alles war in diesem Moment egal. Es zählte für beide Seiten nur das Hier und Jetzt. Trotzdem ging dem Einsatzleiter der Gedanke durch den Kopf: „Gewitzter und beim Volk geliebter Krimineller und Bombenleger gegen einen bis auf die Knochen blamierten Staatsapparat. Als ob Dagobert Mackie Messer aus der Dreigroschenoper wäre und die Behörden voller Inspector Clouseaus. Er dachte diesen Gedanken gerade zu Ende als der Funk verkündete: „ZUGRIFF!“ Der Einsatzleiter spürte sein Herz rasen. Es schlug wie eine plötzlich einsetzende Bass Drum, wie eine Dschungeltrommel, gespielt von einem Berserker. Sie öffneten die Kiste. Zwei Beamte sicherten mit gezogenen Waffen. Der Moment fühlte sich für den Einsatzleiter an wie ein einzelnes Korn einer Sanduhr, gedehnt auf Jahre.
Er öffnete den Koffer, während von halblinks und halbrechts je ein Beamter mit einer Sieg Sauer P225 sicherte – und erstarrte. Papierschnipsel. Fehlalarm. Das Warten begann von Neuem. Doch Stunden später kam ein erneuter Alarm. Ein weiteres Mal öffnete der Einsatzleiter die Streusandkiste. Doch diesmal war kein Koffer da. Nur Laub, Krümel, zerbröckelter Beton – und darunter: ein dunkler Schacht in die Kanalisation. Wieder hatte Dagobert sie ausgetrickst. Wieder war er verschwunden. Die Polizei war erneut die Gelackmeierte. Dagoberts Reise war noch lange nicht vorbei.
© Andreas Weisheidinger 2025-04-03