von Oliver Fahn
Lieber ausgezogene Laufschuhe in den Händen, als ein auf dem Autodach abgelegter und droben vergessener Neoprenanzug. Seit ich meine Fischhaut via Rückspiegel auf der Fahrbahn dahinschlittern sah, gehe ich nur noch joggen. Göttern und Götzen dankend, dass mich die heutige, abgespeckte Version meines Trailrunnings keiner Schlingpflanze einfädeln ließ, stehe ich nun barfuß in der Hotellobby. Sehe die vergreiste, sich mit Neuankömmlingen verjüngende Warteschlange.
Büffetzeit. Kampfgebärden. Tastende Blicke. Gegenseitige Einschätzung. Individualtaktische Manöver werden auf Tauglichkeit geprüft, mit Möglichkeiten beinlahmer, herzinsuffizienter und bronchitisgeplagter Kontrahenten verglichen. Ein Sammelbecken Wiedererstarkter, deren Aufbäumen ich Zeuge bin. Mit unsichtbaren Ritterrüstungen bekleidet, winkeln sie ihre Ellenbogen. Unter Kleingruppen und Familienverbänden, besprechen allgegenwärtige Rentnerehepaare ihr Vorgehen. Einer Melonen zu wankenden Türmen stapelnd, der Andere einen Platz mit Meersicht ertrotzend. Und wir mittendrin!
Durch meine Schuhe in den Händen habe ich mich für die Tischbelagerung qualifiziert. Antonia befriedigt die maßgeschneiderte Anzahl an Stühlen, die Anschluss ausschließt. Unbehelligte Beobachtung ist hier möglich. Mit ungesehenen Angriffen aufs Büffet können wir überraschen. Tempomathaft abgeriegelte Zurückhaltung verlangt nach vulkanischen Ausbrüchen. Suppen werden allseits hastig verschlungen. Schlürfen intoniert die Veranlagung zu doppelten Hauptgerichten und dreifachen Nachspeisentellern. Antikulinarische Beiklänge ähneln Friedrichs langen Umarmungen, die gegen seinen Bruder gerichtete Besitzanzeigen untermauern.
Gespräche erliegen hastigen Kaubewegungen, weichen unverhohlener Augenscheinnahme. Gier drängt Arme zur Eile bei der Besteckführung. Antonia guckt mich an wie einen Corona-Test: Möge positiver Urteilsstrich noch verschwimmen. Ist sie erst jetzt bereit, meinem Auftritt zu glauben? Im Pfuhl wettrüstender Büffetpilger geht mein Outfit unter. Von Völlerei schweißüberströmt, egalisiert das Arsenal an Vitrinenhaien den Duft meines Hygienerückstaus. Meine Unberührtheit von Duschwasser trotz Ertüchtigung wird unter Beiläufigkeiten verbucht. Aroma und Struwwelpetrigkeit entsprechen der Dekadenz betagter Kulisse. Es verlangt nach mir als Akteur. Ich gebe barfüßigen, altersschnittdrückenden Jungspund. Sockenbefrachtet und jungfräulich von Deo, dampfen neben den Stuhlbeinen meine Laufschuhe.
Hätte es als Robe zur Büffetstunde zerschundenem Neoprenanzug bedurft? Wäre damit uns essensraubende Meute gelichtet worden? Als ich mich in Antonias Blick hineinmeditiere und an ihr eine mir unbekannte Gelassenheit konstatiere, erzählt sie von einem Streifen. Es dauert, bis ich realisiere, dass der Wahnsinn mein Los ist, der vor keinem Ereignis Halt macht. Antonia ist schwanger.
© Oliver Fahn 2022-04-12