von Helena_Ja
Ich war ungefähr sieben Jahre alt, als mir meine beste Freundin die unglaublichste Geschichte erzählte. „Das Christkind gibt es nicht“, sagte sie zu mir, „das haben deine Eltern nur erfunden.“ Diesen Verdacht konnte ich nicht länger auf mich sitzen lassen und beschloss den Fall wie eine gute Detektivin zu lösen. Zuerst befragte ich alle meine Freunde nach ihren Erfahrungen:
Bei Lina durften sie und ihre Geschwister nach der Messe nicht ins Wohnzimmer. Sie mussten so lange in ihrem Zimmer warten, bis sie ein Glockenklingeln hörten. Erst dann war das Christkind da und hatte alle Geschenke gebracht.
Jonas wohnte direkt neben seinen Großeltern. Nachdem er mit seiner Familie einen großen Spaziergang gemacht hatten, standen die Geschenke bei ihm in der Wohnung. Er vermutete, dass seine Großeltern diese in der Zwischenzeit im Wohnzimmer versteckten. Außer den beiden mussten nämlich alle mit spazieren gehen, selbst seine Schwester, die letztes Weihnachten Fieber hatte
Christinas Wohnzimmer blieb die gesamte Weihnachtszeit verschlossen, sodass ihre Eltern genug Zeit hatten, die Geschenke im Wohnzimmer zu verstecken.
Sinas Eltern hatten ihr von Anfang an erzählt, dass sie die Geschenke besorgen würden.
Bei Tom kam der Weihnachtsmann. Da glaubte ich ihm tatsächlich auch, dass seine Eltern ihn angelogen hatten. Jeder Sechsjährige wusste doch, dass der Weihnachtsmann eine Erfindung von Coca Cola war.
Die Erfahrungen von meinen Freunden übertrug ich auf meine Situation: Mein Wohnzimmer war nie verschlossen. Wir hatten keine Nachbarn, denen wir den Schlüssel geliehen hatten und meine Großeltern wohnten viel zu weit weg, um mir Geschenke zu bringen. Außerdem ging meine ganze Familie zusammen zur Kirche und kam gemeinsam wieder zurück. Mein Entschluss stand fest: Bei meinen Freunden würden die Eltern vielleicht die Geschenke bringen. Aber bei mir machte es sicherlich das Christkind.
Es dauerte noch einige Jahre, bis ich die Wahrheit herausfand. Wenn wir meine Mutter kurz vor der Kirche raus gelassen hatten, damit sie wie immer noch ein kleines Stück gehen konnte, war sie nach Hause gesprintet. Dort hatte sie in windeseile die Geschenke aus dem Versteck gekramt und die Kekse für das Christkind runter geschlungen. Dann war sie wieder zurück zur Kirche gerannt und kam gerade rechtzeitig zum Beginn des Krippenspiels.
© Helen 2023-05-12