von Prinz Rupi
Ein einsamer Wanderer durchwanderte das Geisterholz im westfälischen Oelde. Die Bäume standen dicht beieinander, ihre hohen Kronen bildeten ein grünes Dach. Der Wanderer genoss die Stille und die friedliche Atmosphäre, doch je weiter er in den Wald vordrang, desto unheimlicher wurde die Umgebung.
Bald merkte er, dass er sich verirrt hatte. Die Pfade, die ihm zunächst so klar erschienen waren, verschwanden plötzlich, und er fand sich in einem Labyrinth aus Bäumen und Schatten wieder. Das Zwitschern der Vögel verstummte, und eine gespenstische Stille breitete sich aus. Der Wanderer fühlte sich beobachtet, als ob unsichtbare Augen ihn verfolgen würden.
Plötzlich entdeckte er in der Ferne einen alten, verwitterten Friedhof. Die Grabsteine waren mit Moos und Flechten überwuchert, und viele von ihnen waren umgestürzt oder zerbrochen. Ein alter Eisenzaun, verrostet und teilweise umgefallen, umgab den Friedhof. Trotz eines Gefühls des Unbehagens trat der Wanderer näher.
Als er die Gräber betrachtete, bemerkte er, dass einige von ihnen Namen und Daten trugen, die Jahrhunderte zurückreichten. Geisterhafte Gestalten schwebten über den Boden, ihre Körper durchsichtig und ihre Gesichter von Trauer und Schmerz gezeichnet.
Einer der Geister trat vor und zeigte auf eine bestimmte Stelle am Rand des Friedhofs. Der Wanderer folgte der stummen Aufforderung. An der bezeichneten Stelle entdeckte er eine alte, fast vollständig von Wurzeln und Erde bedeckte Truhe. Mit Mühe gelang es ihm, die Truhe freizulegen und zu öffnen.
In der Truhe fand er goldene Münzen, funkelnde Edelsteine und kunstvoll gearbeitete Schmuckstücke. Der Schatz war von unschätzbarem Wert, und der Wanderer konnte kaum glauben, was er gefunden hatte. Doch plötzlich veränderte sich die Atmosphäre. Die Geister, die ihn geführt hatten, begannen mit leise wispernden Stimmen zu sprechen.
Sie erzählten ihm, dass der Schatz verflucht sei. Er gehörte einst einem gierigen Großbauern, der die Anwohner ausbeutete und ihr Land stahl. Die Geister waren die Seelen dieser Menschen, die nie Gerechtigkeit erfahren hatten. Sie hatten den Schatz versteckt, um ihn dem Landlord zu entreißen, doch der Fluch blieb bestehen.
Der Wanderer wurde vor die Wahl gestellt: Er konnte den Schatz behalten, aber dafür würde er sein Leben in ewiger Unruhe verbringen, genau wie die Geister vor ihm. Oder er konnte den Schatz an die Geister zurückgeben und damit ihren Frieden und seine Freiheit sichern.
Nach langem Überlegen entschied sich der Wanderer, den Schatz zurückzugeben. Er legte die Münzen und Edelsteine zurück in die Truhe und schloss sie. In diesem Moment erhellte ein warmes, sanftes Licht den Friedhof, und die Geister lächelten dankbar, bevor sie sich auflösten und in den Himmel aufstiegen.
Das Geisterholz hatte seine Geheimnisse offenbart und eine alte Schuld beglichen.
© Prinz Rupi 2024-07-03