von Mer Schulteis
Ich hatte recht behalten. Das Restaurant war heute Abend bis auf dem letzten Platz belegt gewesen. Wir hatten sogar ein paar Stühle dazu stellen müssen, um die Fülle an Gästen abdecken zu können. Erschöpft von der Arbeit steckte ich meinen Hausschlüssel ins Türschloss und drehte ihn mehrmals, bis das vertraute klicken ertönte und sie sich öffnen ließ. Leise trat ich ein. Der Flur war dunkel, doch im Wohnzimmer brannte, das dämmriges Licht unserer Papierlampe und im Eingangsbereich lagen etwas verstreut die schwarzen Turnschuhe von Alex, was darauf schließen ließ, dass er bereits Zuhause war. Ich stellte meine Handtasche auf dem Boden ab und hängte mein Jackett an die Garderobe, erst dann machte ich mich bemerkbar. „Hallo Alex, ich bin wieder da!“, rief ich in die still liegende Wohnung hinein. Von weitem hörte man ein tiefes Stöhnen und das Torkeln schwere Schritte, dann erschien mein Freund im Türrahmen. Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte und als er näher trat, um mich zu begrüßen, wusste ich auch, was es war. „Du hast wieder getrunken“, hauchte ich und drehte angewidert den Kopf zur Seite. Seine Fahne roch man bis hier her und ich konnte nicht anders, als angewiderten einen Schritt nach hinten zu treten.„ Irina …“ säuselte Alex meinen Namen und stützte sich an der Wand ab. Einen Moment funkelte ich ihn noch zornig an, dann legte ich eilig die Schlüssel auf die Kommode ab und drängte mich an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Ich wusste nur zu gut das Diskutieren in seinem Zustand nichts brachte und das machte mich noch wütender als die Tatsache das er wieder betrunken war. Schnaubend packte ich das Nötigste zusammen und flüchtete ins Bad, in der Hoffnung, dass er vielleicht schon auf der Couch eingeschlafen sei, wenn ich wieder herauskäme. Ich verriegelte die Tür hinter mir und ließ mich mit dem Rücken an ihr hinab gleiten. Zweimal unter nahm er noch einen halbherzigen Versuch, die Tür zu öffnen, dann hörte ich ihn davon schlurfen. Erleichtert atmete ich die Luft aus, die ich schon eine ganze Weile, unbewusst angehalten hatte. Manchmal wusste ich einfach nicht mehr weiter. Es war wirklich deprimierend. Mal lief es gut, dann ging es wieder Berg ab. Es war ein ständiges rauf und runter zwischen Streit und Vergebung, das keiner von uns noch länger ertragen könnte und doch ließ ich es immer wieder darauf ankommen. Ein stummes Vibrieren riss mich aus meinen tristen Gedanken. Ich fasste nach hinten und zog mein Handy aus der Hosentasche. Eine neue Nachricht war hereingetrudelt. Ich starrte hin – und hergerissen auf das nun wieder leblose Telefon in meiner Hand. Kurz überlegte ich, ob ich die Nachricht jetzt wirklich lesen wollte, oder es nicht lieber auf einen besseren Moment verschieben sollte. Das schwarze Display leuchtete auf, als ich den Anschaltknopf drückte und ich zog überrascht die Augenbrauen zusammen als ich las, von wem die Nachricht war.
© Mer Schulteis 2023-08-23