An diesem Dienstag im Oktober marschierte ich durch die sonnendurchflutete Allee Richtung Interspar und dann konnte ich den Blick nicht von diesem Hagebuttenstrauch abwenden. Einige Rosen blühten noch, doch unzählige rote Hagebutten leuchteten mir entgegen und zeigten, dass der Herbst in großen Schritten auf uns zukam. Ich erinnerte mich in diesem Augenblick an meine Mutter, die diese Früchte „Hetschepetsch“ nannte, das Wort gefiel mir als Kind so gut, dass ich sogar eine Katze mit diesem Namen beglückte. Allerdings riefen wir die dreifarbige Glückskatze dann nur Hetscherl und sie spitzte immer die Ohren, wenn sie diese Silben hörte. Meine Mutter kannte viele Lieder, aber erst als Kindergartenkind lernte ich den Liedtext „Ein Männlein steht im Walde”, wobei das Hagebuttenmännlein in der dritten Strophe genannt wird: Das Männlein dort auf einem Bein/Mit seinem roten Mäntelein/Und seinem schwarzen Käppelein/Kann nur die Hagebutte sein!
Wie oft sang ich dieses Lied mit meiner Mutter, aber auch mit meiner Tante Burgi. Als Kind verbrachte ich viele Tage in Edelsee (Birkfeld) auf dem großen Bauernhof, wo ich unbeschwerte Tage mit meiner Tante, meiner Urgroßmutter und Tante Anna verbrachte. Mit Tante Burgi sammelte ich im Herbst die roten Früchte auf dem Feld, die dann auf dem Dachboden getrocknet wurden. Diese „Zauberfrüchte“, so wurden sie von ihr genannt, kamen in der Dämmerung vor dem großen Kamin zum Einsatz. Sie kochte einen köstlichen Hagebuttentee, der uns alle als Gesundheitstee im Winter vor Verkühlungen schützte. Der hohe Vitamin C Anteil tat dem Körper gut, außerdem schmeckte der Tee mit Honig und einem Krapfen wunderbar.
Walburga Tobisch, eine weißhaarige Frau mit geflochtenem Knotenzopf und einer drahtigen Figur, wurde in ihrem Dorf manchmal auch als „Kräuterhexe“ bezeichnet, was sie nicht störte. Sie kannte die Wunderkraft der Kräuter, deshalb fanden ihre Tees und Tinkturen reißenden Absatz bei den Leuten aus der Nachbarschaft und sie hatte dadurch ein ganz kleines Nebeneinkommen. Außerdem fabrizierte sie köstliche Marmelade aus den roten Früchtchen und auch Hagebuttenwein, von dem nur ganz bestimmte Leute ein Stamperl kredenzt bekamen. Ihrer Geschichte vom Hagebuttenmännlein, das von den Kindern entdeckt wurde und beinahe zu Tode gekommen wäre, lauschte ich neugierig und staunend. Sie behauptete, wenn man zu Weihnachten drei Hagebutten verspeist, bleibt man vor körperlichem Schaden verschont.
Ich stehe lange vor dem wunderschönen Hagebuttenstrauch, da sehe ich, wie zwei Krähen einige der Hagebutten genüsslich verspeisen. Die wissen ganz genau, was ihnen in der kälteren Jahreszeit guttut. Ich lächle und dann merke ich, dass noch einige Hagebutten in der Wiese liegen. Ich hebe sie auf und nehme sie mit nachhause. Zuerst will ich sie auf einen Teller legen, aber dann bastle ich ein Hagebuttenmännchen, das ich zu den Kastanienfiguren stelle. Vielleicht bringt es mir Glück!
© Christine Büttner 2021-10-17