Das Kochbuch meiner Mutter

GONI

von GONI

Story

Aus Ostpreußen mit der Ausbildung in Hauswirtschaft, der Liebe wegen

nach Wien gekommen. Hier die Wiener Küche gelernt und für gut befunden.

Wenn wir in der Küche mithelfen steht immer das geöffnete Kochbuch irgendwo

hoch oben auf einem Bord, und Mutter schaut gelegentlich hinein.

Sie hat schon in der Heimat in einem Metzger-Haushalt gearbeitet und auch von ihrer Mutter viel abgeschaut. Hauswirtschaft ist eine Vertrauensstelle, die man sich erst verdienen muss.

Damals war am Wochenende dienstfrei. Irgendein Familienmitglied hatte die Türe zur Speisekammer offen gelassen und so den Fliegen freien Eintritt zugebilligt. Die haben sich ganz schnell den vielen Schinken zugewandt um ihre Eier abzusetzen. Ein gefundenes Fressen für die Maden. Meine damals noch nicht Mutter, kommt und wird mit der Misere konfrontiert. Welche Katastrophe, alle Schinken müssen vernichtet werden. Die kann man nicht mehr verkaufen, tobt der Chef.

Sie sagt nur – ich mach das schon. Sie streift sich die Schürze um, nimmt ein großes Fleischermesser zur Hand und löst alle Knochen aus den Schinken. Dann werden alle befallenen Stellen mit dem Messer herausgeschnitten und die guten Schinkenstücke zur Desinfizierung in ein Bad gelegt. Gut abgewischt und wieder gelagert. So konnte doch noch viel Fleisch gerettet werden. Ab dem Tag durfte nur mehr der Chef und die Fleischretterin in den nun mehr abgeschlossenen Kühlraum gehen. Das Vertrauen verdient. Schlüsselgewalt erhalten.

Im Lauf der Jahre ist das Kochbuch immer voller geworden, viele Zettel, Zeitungsrezepte, sind dazugekommen, das Buch schließt nicht mehr, Rezept-schwanger liegt es hin und wieder offen da. Ich habe es nie in die Hand genommen. Alles was meine Mutter gekocht hat war immer perfekt, hat gleich gut geschmeckt, jahrzehntelang immer das Beste.

Ich habe im Schlaraffenland gelebt.

Meine Mutter konnte mit dem Kochlöffel zaubern, ob süß oder sauer, heiß oder kalt, gebraten oder gedünstet, etc. jedes Essen ist ihr gelungen.

Nach Mutters Heimgang regeln wir den Nachlass. Meine Schwester fragt mich was ich als persönliche Erinnerung haben möchte? Spontan sage ich: Mutter’s schwarzes Kochbuch! Aber ohne die vielen Zettel aus Zeitungen etc.

Meine Schwester: Kannst du haben. Gerne.

Ich wundere mich zuerst, dann denke ich sie wird sich eben die guten Rezepte kopieren.

Dann ist es soweit, ich halte das Buch in Händen, blättere ich traue meinen Augen nicht, weiße Blätter, wo sind die Rezepte meiner Kindheit?

Noch einmal, erste Seite, da steht was, eine Einkaufsliste……. sonst nichts!

Ein neues Buch, kein Fettfleck, kein Mehlstaub, kein Eigelbfleck, nichts als weiße Blätter….

Hat uns Mutter an der Nase herumgeführt, alles auswendig können…….

Ein 70 Jahre altes Kochbuch, schwarzer Einband, weiße Seiten, kein Blatt herausgerissen…

Kein Rezept mit den guten Zutaten, Hirschhornsalz etc. – welch ein Glück wir können heute alles aufstöbern – im Internet – Königsberger Klopse.

© GONI 2019-07-30

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