Das Leben geht weiter

von Lavender

Story
berlin 2023

Ich sitze im Park – mit einer Tasse Kaffee in der einen und einer guten Lektüre in der anderen Hand. Es fröstelt ein wenig – es ist Mitte Herbst und kurz vor Sonnenuntergang. Der Himmel verfärbt sich in die kunstvollsten Farben – von blau zu lila, rosa und gelb.  Mir geht es gut. Frisch. Erleichtert. Befreit. 

 Ich muss an dich denken. Der klare Blick auf den See, die romantische Szenerie mit den weißen Schwänen, die den See dekorieren, die Weingläser auf den Tischen neben den fröhlich plaudernden Leuten. Es ist wie damals im Lietzenpark in Berlin. Nur kälter. Es ist nur wenige Monate her und doch kommt es mir wie Jahre vor. Damals, als wir noch ein Paar waren. 

Du hast mich seitdem ignoriert, nicht mehr geschrieben, ganz symbolisch auf Instagram entfolgt. Der Kontakt ist abgebrochen. Wir sind getrennte Wege gegangen. Nun sitze ich hier und sinne über vergangene Zeiten und was sie mit mir gemacht haben. Wie ich von dir, geprägt wurde. Zu was für einen Menschen ich geworden bin. Jedenfalls: unabhängiger und ausgeglichener.

 Der Autor des Romans kommt mir bekannt vor. Es ist derselbe Autor eines Buches, welches du mir damals empfohlen hast. Ich schicke dir ein Bild davon: „Hast du es schon gelesen?“, frage ich. Es ist offensichtlich eine unverfängliche Frage, die aber den Effekt hat, den Damm zwischen uns zu brechen. „Nein. Willst du mir damit etwas sagen?“, antwortest du mit einem lächelnden Smiley. Du willst, dass ich das Feld abstecke, den ersten Schritt mache, nachdem ich mich von dir abgekapselt habe, Schluss gemacht habe. Will ich dir mit dieser einen Nachricht etwas sagen? Ja. Nur was? Was will ich aussagen? Ich denke an dich? Ich denke an uns? Ja. Ich liebe dich? Ich wünsche mich uns zurück? Nein. 

Ich wünsche mir wieder Momente des Halts und der Stabilität, so wie am Beginn unserer Beziehung, als es noch nicht so brutal war. Ich wünsche mir wieder Momente der Zweisamkeit. Intime Momente. Momente, in denen du mich im Arm hältst. Das sind die schönen Momente, an die ich mich mit Wehmut zurückerinnere, aber die ich mir dennoch nicht zurückwünsche. Nicht mit dir. Von dir wegzukommen, war der schwerste Schritt und der beste, den ich je getan habe. Befreiend. 

 Es ist schön, mit dir nun kurz zu schreiben – uns hat vieles verbunden. Es ist schön, dich aus der Ferne zu beobachten und deine Artikel zu lesen – es macht mich stolz. Aber ich trauere nichts hinterher. Im Gegenteil. Die Entfernung geben mir die Bestätigung, dass meine Entscheidung damals richtig war. Du aber sehnst dich noch nach mir – zumindest körperlich. Ich, die ich dein Beuteschema erfüllt habe, wie du mir auch jetzt noch signalisierst. Mich gibt es nur einmal. Das weißt du jetzt. Mir gefällt der Gedanke, deinem strammen Griff entronnen zu sein. Du warst wie mein Gebieter und ich deine Hörige. Jetzt bin ich frei. Du hattest deine Chance auf ein Glück mit mir. Nun ist es vorbei. Jetzt beginnt das ernste Leben. Eines, in dem ich zu mir finde. Mir selbst. Ohne Verfälschung durch Zuspruch anderer Menschen wie dir. Ich brauche dich nicht mehr. Ich bin allein stark. Ich bin allein wertvoll. 

© Lavender 2024-06-27

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll
Hashtags
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