von Lisa Frank
Denkmäler, wie die Notre Dame sollten, wir nie zu Gesicht bekommen. Jahre später ist sie leider zum Teil abgebrannt und ich fand es traurig, dass ich sie in ihrem Originalzustand nie zu Gesicht bekommen habe. London fand ich sehr beeindruckend. Auch dort waren wir in keinem Gebäude. Unser Hotel glich einer Absteige. Wir mussten uns unser Essen selbst besorgen. Das Einzige, wofür unser Englischlehrer, die Oberstufenleiterin und unsere Mathelehrerin dabei waren, war um sich dabei, in verschiedenen Arten und Weisen, zu vergnügen. Bei der Fahrt mit der Fähre von Calais nach Dover, faszinierte mich am meisten die Steilküste, mit der Ruine des ehemaligen Schlosses. Mit dem Bus hielten wir zuerst in Greenwich, am Nordmeridian. Ich musste lachen, denn wir hatten nur einen regenreichen Tag in London. Und dann sah ich sie zum ersten Mal: den Big Ben, die Westminster Abbey und auch den Buckingham Palace. Wie gern hätte ich mir die Denkmäler auch von innen angesehen. Ich habe mir geschworen dies eines Tages nachzuholen und erneut nach London zu reisen. Vielleicht lasse ich mich dort sogar nieder. Auf dem Camping Market und dem Piccadilly Circle haben wir einiges an Essen und Andenken gekauft. Doch die U-Bahn in England war schrecklich, so viele Menschen. Mir wurde zum ersten Mal schwarz vor Augen. Weder meine Klassenkameraden noch die Lehrer hat es interessiert. Ich benutzte fortan stets etwas in den Händen, um bei Menschenmassen keine Panikattacken zu bekommen. Als ich aus London oder auch Frankreich zurückkehrte, war ich wie ausgewechselt. Ich war heiter, fröhlich, offen. Ich hätte diese Orte am liebsten nie verlassen, aber ich musste zurückkehren, zurück nach Hause, in mein Gefängnis. London gab mir Auftrieb. Auftrieb zu fragen, warum ich in Englisch immer so schlechte Noten bekomme. Mein Lehrer hat mir diese Frage nie beantwortet. Auch meine Mathelehrerin oder Deutschlehrerin konnten mir nicht erklären, warum ich in den Fächern, wo ich eins am besten gewesen bin, plötzlich so schlecht wurde. Meine Eltern suchten eine Aussprache mit meinem Englischlehrer. Doch verzog dieser das Gesicht zu einer finsteren, griesgrämigen Maske. Er sprang von seinem Stuhl auf, schlug die zur Faust mit geballter Wucht auf den Tisch und sprach mit gequälter, vor Wut schäumender Stimme: Ihre Tochter schreibt hier kein Abi! Meine Mutter erschrak so sehr, dass sie den Raum verließ, während mein Vater versuchte noch irgendetwas zu regeln. Aber mein Englischlehrer sah keinen Stich darin mir eine Chance zu geben. Quereinsteiger würden an diesem Gymnasium niemals ihr Abitur schreiben. So stand ich 2015 vor der Frage: Ausbildung oder Schulwechsel. Nach einigen Bewerbungen wurde ich in Frankfurt Oder, als sogenannte Fami, Fachangestellte und Informationsdienste Fachrichtung Archiv, angenommen. Doch erklärte mir die leitende Archivarin, dass es besser sein, mein Abi erst zu beenden. Auch den Beruf des Archivars hatte Janet für mich gewählt. Sie hatte die Dorfchronik Finsterbergens geschrieben und wollte, dass ich ihren Traum lebe, einen Beruf in der Verwaltung zu haben. Trotz meines Unwillens schrieb ich jegliche Bewerbung alleine. Wollte ich doch einfach nur aus meinem Gefängnis fliehen.
© Lisa Frank 2024-08-31