von Raphael Stompe
„Wanderer, wer bist du, der du es wagst in mein Reich einzudringen“, der riesige Löwenkopf, der auf einem Drachenkörper ruhte, der länger als der Umfang eines typischen Hauses war und der eben noch eine Steinstatue neben Stufen, die zu einem seltsamen Tor hinaufführten, gewesen war, starrte gefährlich auf Brad hinunter. Er hatte keine Angst, nein, sein Körper war über die Schwelle der Angst bereits seit Stunden hinweg. Die einsame Wanderung durch den düsteren Tempel mit seinen Fallen war das Schlimmste gewesen, das er je erlebt hatte. Er hatte bereits alle Stufen durchlaufen, Panik, Todesangst, Höllenangst und schließlich war er bei stiller Resignation gelandet. Eine Haltung, die er inzwischen als das bradsche Schicksal bezeichnet hätte, hätte man ihn gefragt. Ungerührt hob er den Blick und sah in die funkelnden blauen Augen der Bestie. „Ich bin Brad.“ „Brad und weiter?“, das Wesen sprang galant von seinem Podest und setzte wie eine Katze auf. Brad, der jetzt eigentlich kreischend weggelaufen wäre, schüttelte nur den Kopf. „Nur Brad.“ Der Löwendrache landete, begleitet von einer Erschütterung neben Brad. Der beißende Geruch seines Schlunds schoss ihm entgegen und Brads Unterlippe schob sich in die Höhe, in dem Versuch, nochmals in Panik zu verfallen, aber gab gleich wieder auf. Das Geschöpf knurrte gefährlich. Wie ein starker Windhauch begann er Kreise um Brad zu ziehen und wurde dabei immer schneller. Brad verharrte reglos, nicht einmal seine Augen weiteten sich, auch wenn sie ihr eigenes Versäumnis irgendwie bedauerten. Dann tauchte inmitten der näherkommenden türkisen Schuppen, der Löwenkopf mit weit aufgerissenen Maul und triefenden Eckzähnen auf. Es stoppte nur Zentimeter vor Brad zu, der unbeeindruckt in die leuchtenden Augen sah. „Es ist lange her, dass es jemand so tief in den Tempel geschafft hat, dass das Tor zu meiner Dimension in Reichweite gekommen ist.“ „Eigentlich will ich nur hinau-“ „Viele haben versucht in die Höllendimension zu gelangen“, das Monster, das von Sekunde zu Sekunde größer zu werden schien, zischte. „Jeder Knochen hier erzählt eine heldenhafte Geschichte, die in meinen Klauen geendet hat“, der Drache lachte ein böses, schallendes Lachen. Brad fühlte, wie seine Seele an der Kehle gepackt wurde, wie Krallen langsam durch sein geistiges Herz stießen und winselte schwach. „Kann ich bitte einfach nur hier heraus. Ich-“ „Ich weiß Abenteurer, du bist gekommen, um dich meinem unendlichen Rätsel zu stellen. Nun denn, die wahre Antwort, oder Tod.“ Brad seufzte. Er war Eseltrainer. Dr. Quinn und Monroe wollten, dass er seine Esel führt. Er war in einer Gruppe losgezogen und hätte diesen Tempel nicht einmal betreten, wenn nicht plötzlich der Erdboden nachgegeben hätte. Dann war da eine Falle gewesen und alle waren tot. Außer er, warum gerade er? Brad hätte sich angepinkelt, wenn er das nicht bereits 9x in den letzten 18 Stunden hier unten hinter sich gebracht hätte, ehe er sich über sein jämmerliches Leben Gedanken machen konnte, scholl es durch die Höhle „Was hat vier Augen, zwei für dich, eins für mich und das vierte innerlich?“ Brad stöhnte, ohne Verzweiflung, die war ihm bereits abhandengekommen: „Ich weiß es nicht.“ Stille folgte seinen Worten. „Du…bist der Erste, der hindurch kann“, Drachenklauen schoben ihn durch ein plötzlich schwarz leuchtendes Tor in eine brennende Welt mit riesigen dunklen, fliegenden Schemen und Brad seufzte schwach.
© Raphael Stompe 2023-09-13