Das ultimative Frühlingsgefühl

Irene Werren

von Irene Werren

Story
Auf dem Fricktaler Chriesiweg 2025

Schon früh werde ich heute geweckt von der Sonne, die meinen Nasen-Spitz kitzelt. Ich schwinge mich freudig aus dem Bett. Heute wirds was Schönes geben. Ich wusle hin und her, packe in meinen Rucksack Sonnencreme, Wasser und etwas Geld. Noch schnell einen Kaffee getrunken, danach fix aus dem Haus, rauf aufs Velo und zügig zum Bahnhof gestrampelt.

Mit einer lieben Bekannten, die heute Geburtstag hat, starte ich in den wunderbaren, strahlend blauen Frühlingsmorgen. Das ultimative Frühlingserlebnis suchen wir nicht vergebens, es wartet nämlich auf uns, wunderbare, blühende Kirschbäume in allen Variationen.
Das behäbige Postauto bringt uns von Aarau nach Gipf – Oberfrick, zusammen mit hundert weiteren blütenrauschsüchtigen Touristen aus fast aller Welt. Jeder will heute das ultimativ schönste, aufregend romantischste Foto machen von den alten knorrigen Bäumen im kostbarsten Swarowskykleid. Ich auch!
Der „Fricktaler Chriesiweg“ ist weltbekannt für seine Kirschbäume. Es gibt Tage, da pendeln Tausende zu diesen blühenden Kirschblüten, die über weite grüne Felder hin strahlen wie Diamanten, anmutig den Weg säumen und uns willkommen heißen.

Es wird jedoch abgeraten, diesen Weg am Wochenende zu machen wegen der erwarteten Völkerwanderung. Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit dem Volk zu wandern. Ich finde es toll, dass sich so viele Menschen aufmachen, um das alljährlich stattfindende Naturwunder zu erleben.
Über acht Kilometer werden wir von zauberhaften Bäumchen in ihrer höchsten Blütezeit begleitet. Jeder Baum ein filigranes Meisterwerk. Begeistert zücke ich mein Handy und kann mich nicht satt sehen, satt riechen, satt fühlen: Die Sonne auf meiner Haut, den Wind in den Haaren, dieses ultimative Frühlingsgefühl lässt mich verzückt die Augen schließen – und prompt trete ich in einen Hundedreck. Oh Schreck … in den nächsten Minuten bin ich schwer damit beschäftigt, meine Schuhe sauber zu kriegen, habe ich mich doch für die Schuhe mit den drei Streifen entschieden anstelle der etwas klobigen Wanderschuhe.
Dieses kleine Intermezzo tut meinem Blütenzauberräuschchentraum keinen Abbruch, längst schon habe ich es vergessen.

Bevor es dann wieder zurückgeht, werfe ich noch einen letzten wehmütigen Blick auf das glitzernde Blütenmeer.

Tschüss ihr Wunderwerke, ihr habt mich etwas Wichtiges gelernt: Alles hat seine Zeit:

Blühen hat seine Zeit, verwelken hat seine Zeit. Staunen hat seine Zeit, aus vollem Herzen danken hat seine Zeit, Glück hat seine Zeit, Heimgehen hat seine Zeit.

Schreiben hat seine Zeit, Gedanken mitteilen hat seine Zeit. Zu Ende schreiben hat seine Zeit. Und: Danke, dass ihr dieser Geschichte eure Zeit geschenkt habt.




© Irene Werren 2025-04-12

Genres
Reise
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll