Das verflixte Haus

von Verena Schönfelder

Story

Der Umzug nach Brüssel war eine große Sache. Sowohl organisatorisch als auch emotional. Nina überlas da vielleicht bewusst, dass sie für das Auslandsjahr eine Wohnung in einem verflixten Haus beziehen sollte.

Die Hausbetreuerin kümmerte sich um die Wohnungsübergabe. Sie erschien bereits nervös und meinte dazu rätselhaft, dass das Haus sensibel reagiert. Nina blickte sich in der gewöhnlichen Einzimmerwohnung mit zwei Fenstern um, zuckte mit den Achseln und nahm den Schlüssel an. Die Hausbetreuerin mit ihrem fransigen Haar und dem unsteten Blick hingegen, kam ihr nicht geheuer vor.

Die erste Woche beschäftigte sich Nina mit einrichten, arbeiten – einfach ankommen. Danach wurde es seltsam. Erste Anflüge von Heimweh schlugen ein. Nina zog sich in die Wohnung zurück, allein mit Popcorn und Film. Kaum am Sofa angekommen, donnerte es, dann knallte es laut. Der Lärm kam von den Fenstern. Das Glas brach. Aus der Mauer darüber fielen blanke Ziegelsteine herunter und Nina blickte plötzlich auf zwei Ziegelwände. Hastig griff sie nach dem Handy, sowie dem Schlüssel neben der Tür, und stürmte aus der Wohnung.

Sie stand in Jogginghose und Schlabbershirt am Gang des Wohnhauses, ratlos was sie tun sollte. Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe.
Aus dem oberen Stock stürmte überraschend ein Mann, mittleren Alters, mit hochrotem Kopf die Treppe hinunter. Zur gleichen Zeit öffnete sich die Wohnungstür gegenüber. Eine etwa gleichaltrige Frau schob suchend den Kopf in den Gang.
„Was zur Hölle?“, rief sie noch, ehe der Mann maulend an ihnen vorbeirauschte und sie Nina wahr nahm, die sich entgeistert an ihre Wohnungstür presste.
„Ah die neue Nachbarin, willkommen im verflixten Haus! Hast du dich ausgesperrt?“
Nina stotterte: „Nein, meine Fenster haben sich plötzlich vermauert, da bin ich …“
„Verstehe, kein Grund zur Sorge, ist nur das Haus. Das wird wieder normal, meist wenn du cool bleibst!
Schau, der Mann von oben, Charles ist Choleriker, immer wenn er sich aufregt, blasen sich seine Wände auf, sodass er die Wohnung verlassen muss.
Oder ich zum Beispiel: Das Haus meint, ich arbeite zu viel. An meinen Home-Office-Tagen springen Kaffeemaschine und Mikrowelle ständig hin und her, bis man nur mehr ein Flimmern sieht, dort wo sie stehen müssten. Mein Tipp, finde heraus, was dich bedrückt, dann löst sich das Problem. Schönen Abend!“, erklärte die Nachbarin hektisch und knallte die Tür zu.
Nina kehrte zaghaft in ihre Wohnung zurück. Die Fenster waren plötzlich wieder da. In den folgenden Tagen beobachtete sie genau, wie ihre Stimmung war, ehe das Haus verriegelte.
Es geschah anscheinend immer dann, wenn sie sich alleine fühlte und lieber einigelte, als etwas dagegen zu tun. Doch um diese Theorie zu beweisen, musste sie etwas unternehmen. Entschlossen verließ sie die Wohnung, klopfte bei der Nachbarin an und fragte:
„Hallo, das Haus spinnt wieder – Lust im Bistro, auf der anderen Straßenseite etwas Essen zu gehen?“
Die Nachbarin gab den Blick auf die flimmernden grau-schwarz-weißen Punkte frei, die ihre Mikrowelle waren, und antwortete: „Gute Idee – ich heiße übrigens Zita und du?“

© Verena Schönfelder 2024-06-19

Genres
Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Hoffnungsvoll
Hashtags
Freundschaft, Umzug, Einsamkeit, Neu, Heimweh