Das Werkstattdilemma

Anatolie

von Anatolie

Story

Was würdet ihr davon halten, wenn der Arzt eures Vertrauens plötzlich sagte: „Sie brauchen in Zukunft nicht mehr zu kommen, wir betreuen ab jetzt nur noch Privatpatienten“?

So wie ein Mensch einen Fachmann – oder eine Fachfrau – aufsucht, wenn es im Körper irgendwo klemmt oder knackt, es verstopfte oder undichte Stellen gibt oder ein Ersatzteil nötig wird, sei es aufgrund von Abnützung oder gar nach einem Unfall, so braucht auch der fahrbare Untersatz regelmäßig Wartung. Es ist ein gutes Gefühl, wenn es eine sichere Anlaufstelle gibt, wo man sich jederzeit an kompetente Leute wenden kann, die sich dann um alles kümmern. Vor ein paar Jahren ist die einzige Fachwerkstatt für Motorräder, die es in meiner Gegend gab, weggezogen. So war ich damals sehr froh, dass die Autowerkstatt, in der meine Mutter schon seit Jahren Stammkundin ist, auch Mopeds reparierte. Sie machten ihre Arbeit immer gut, also habe ich mich auch heuer wieder zur jährlichen Überprüfung meines Mopeds angemeldet.

Es war einiges zu richten, auch ein neuer Scheinwerfer musste rein, obwohl der alte gar nicht kaputt war, nur etwas ausgebleicht von der Sonne. „Das sind nun mal die neuen Vorschriften“, war die Begründung. Bis dieses Teil aus China angeliefert wurde, vergingen sagenhafte neun Wochen! Ein Glück, dass ich in der Zwischenzeit mein Fahrzeug holen und später wieder zurückstellen konnte, weil die Werkstätte so angenehm in der Nähe lag.

Als dann endlich alles fertig war, bekam ich neben einer sehr hohen Quittung noch einen weiteren Vorschlaghammer präsentiert: „Wir reparieren in Zukunft keine Mopeds mehr, wir sind eine Werkstatt für Autos und damit mehr als genug ausgelastet“. Da half weder mein Bedauern noch meine Beteuerung, ihre Arbeit immer sehr geschätzt zu haben. Ich musste mir jetzt irgendwo am anderen Ende der Stadt eine neue Mopedwerkstatt suchen! Gut, dass fürs Erste mal alles erledigt war – so dachte ich. ******* Zwei Wochen später entdeckte ich einen Nagel in einem meiner Mopedreifen. Derzeit schien noch keine Luft zu entweichen. Aber da musste doch schnell mal jemand nach den Rechten sehen? In meiner Verzweiflung fuhr ich nochmals zu meiner ehemaligen Werkstatt. „Bitte?“, begrüßte mich der Chef etwas reserviert. Ich machte ihm klar, dass es ein Notfall sei. „Wegen dem Reifen können’s zum Reifenhändler W. schauen, die machen sowas“, sagte er und drückte mir einen Zettel mit einer Adresse in die Hand. „Falls ich dort nicht weiterkomme – darf ich mich ausnahmsweise nochmals bei Ihnen melden?“, bat ich den Chefmechaniker, es fehlte gerade noch, dass ich einen Kniefall machte. Er nickte.

Beim Reifenhändler W. gab es das benötigte Teil. Doch da hatte der Monteur gerade Urlaub! So kaufte ich den Reifen, rief nochmals bei der Werkstatt an und bat um einen Termin. „Ich werde mich melden, wenn wir Zeit haben“, sagte er und legte auf. Es vergingen Tage, eine Woche. .. nichts habe ich mehr von dieser Werkstatt gehört. Ich bin wirklich sauer! Kann man Stammkunden, die über Jahre viel Geld da gelassen haben, einfach so abservieren?? Zum Glück hab’ ich beim Reifenhändler einen späteren Termin bekommen. Bis übernächste Woche muss der alte Reifen noch dicht halten.


© Anatolie 2024-06-29

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Herausfordernd
Hashtags