Seine Couch

Ella Strübbe

von Ella Strübbe

Story

Vor mir steht ein Glastisch, auf dem sich Rückstände aller möglichen Substanzen finden – Cola, Bier, Gras, Koks und Teile. Es ist Freitagabend und wir sitzen zu siebt auf einer durchgesessenen Couch. Uns gegenüber eine klobige Schrankwand. Keine Playstation, kein Fernseher, kein vererbtes Porzellan; nur ein überdimensioniertes Einwegglas voller Cannabisblüten. Meine Absatzschuhe drücken, die Anzughose sitzt eng. Den Blazer hatte ich behutsam in die Ecke gelegt, dadurch fühlte ich mich etwas weniger fehl am Platz. Die weiße Bluse längst aufgeknöpft, rinnt mir der Schweiß den Körper hinab. Es ist sehr warm für Ende September.

Bens Hand stupst meinen Oberschenkel an. Ich schaue ihm in die Augen, er schaut auf den Joint zwischen meinen Fingern. Fuck, wie unhöflich von mir. Wie viele Züge ich wohl schon hatte? Ich nuschele ein „Ah ja, sorry!“ und reiche ihn dem Mädchen rechts von mir. Bens Hand verweilt auf meinem Oberschenkel, ich starre sie an.

Die Selbstverständlichkeit dieser kleinen Geste überfordert mich. Restlos. Es fühlt sich vertraut an, so vertraut, wie mir mein Leben einmal war – bis ich es vor zwei Wochen aufgegeben hatte. Ein Stockwerk tiefer. Der Raum hatte den gleichen Schnitt. Ich saß in derselben Ecke eines anderen Wohnzimmers, mit einer anderen Hand auf demselben Oberschenkel – der Hand von Max.

Wir hatten eine gemeinsame Wohnung in Fürstenwalde-Nord, einen Fünf-Jahres-Plan und schauten montags immer ‚Wer wird Millionär‘. Mit 19 Jahren steckte ich knietief in einem Leben an der Seite eines Mannes, der bestimmte, wie offen ich meine Blusen trug – also zugeknöpft bis zum Hals –, wie viel ich wog – immer ein paar Gramm mehr auf den Rippen –, und mit welchen Menschen ich mich umgab – mit ihm. Korrigiere, nur mit ihm. Ich wollte das so, zumindest glaubte ich ihm das. Und ich glaube es ihm so lange, bis ich mir selbst nicht mehr in die Augen schauen konnte. Ich schlug auf dem Boden der Tatsachen auf, als er mir meine Zukunft ausmalte: keine Karriere, kein Reisen, Home Office. Knapp eine Woche später war ich mit der Hälfte unserer Wohnungseinrichtung verschwunden.

Ich zog zurück zu meinen Eltern. Wenige Tage später war ich allerdings wieder bei „uns“ im Haus. Nur eben eine Treppe weiter oben. Im Bett unseres einstigen Nachbarn – der große junge Mann aus dem vierten Stock. Der mit den blutunterlaufenen Augen.

Ich entspanne die Schultern, starre auf meine lackierten Nägel. Seine Couch macht den Anschein, einmal beige gewesen zu sein. Heute ist sie übersät mit Flecken. Auf meiner Couch hat niemand Bier verschüttet. Nicht weil Max nicht trank oder neben seiner mein Leben einnehmenden Art noch eine Zwangsstörung hatte, sondern weil meine heile Welt beim kleinsten Kontrollverlust zusammengebrochen wäre. (Und auch, weil ich gezwungen worden wäre, das Polster zu reinigen.) Der Joint ist einmal rum und ich nehme einen tiefen Zug. Wie gut sich Kontrollverlust anfühlt, wenn du endlich wieder high bist und es nicht deine Couch ist.

© Ella Strübbe 2022-10-28

Hashtags