von Beate-Luise
Mit etwa vier Jahren verbrachte ich erstmals allein mit meinem Vater einen Urlaub. Wir fuhren nach Sankt-Peter-Ording. Dort beginnt mein Erinnerungsvermögen an Situationen mit ihm. Dass mein Vater kein Schamgefühl besaß, beschrieb ich bereits in der Geschichte „Gegen den Strom“. Aber jetzt mal aus den Vollen über den Ollen!
Wir logierten in einem weißen, zweistöckigen Hotel. Gleich nach der ersten Nacht beklagte mein Vater sich am Frühstückstisch beim Geschäftsführer darüber, dass die auf dem Dach gehisste Fahne im Nordseewind zu laut knattern würde. Ich weiß noch, dass er sich in verschwurbelter Höflichkeit sogar körpersprachlich verbog, während er lange und laut über ungestörten Schlaf schwadronierte. In der nächsten Nacht war die Fahne eingezogen.
An einem der folgenden Tage steigerte sich sein Gebaren als Hotelgast ins Unerhörte. Wieder im Frühstücksraum. Eine freundliche, junge Kellnerin mit ärmelloser Bluse, weißem Schürzchen und schwarzem Rock servierte. Als wir aufgegessen hatten, winkte mein Vater sie an unseren Tisch und sagte ihr in etwa Folgendes: „Sie sind eine gut aussehende junge Dame, zweifellos. Noch attraktiver wären Sie allerdings, wenn Sie sich die Achselhaare entfernen würden.“ Sprachs und ließ, mit abgespreiztem kleinen Finger, eine Schachtel „Pilca-Enthaarungscreme“ in ihre Schürze fallen.
Obwohl ich noch so klein war, brannte sich die Peinlichkeit dieser Begebenheit für die Bedienung, für mich, für ihn und für uns alle tief in mein Bewusstsein. Wenn ich daran zurückdenke, möchte ich noch heute im Erdreich versinken. So geht Fremdschämen in höchster Potenz.
Doch fast noch schlimmer erschien mir die suffisante Zufriedenheit auf dem Gesicht des Alten, als dieselbe Bedienung am folgenden Tag tatsächlich mit epilierten Achseln ihre Arbeit verrichtete. Ich habe verdrängt, ob mein Vater seinen Gefallen daran ebenfalls verbalisierte.
© Beate-Luise 2019-11-21