Der Apfelbaum

Maximilian Schlechtweg

von Maximilian Schlechtweg

Story

Auf einer Wiese stand einmal ein Apfelbaum. So groß und prächtig, dass man meinen könnte, er sei Teil eines Gemäldes. Seine Krone hing voll mit prallen roten Früchten und sein gesunder und dicker Stamm ragte meterhoch in den Himmel. Seine Wurzeln krallten sich fest in den Boden und boten ein starkes Fundament. Trotz seiner beachtlichen Höhe hingen die Äste des Baumes weit herunter, fast einladend, sodass man unumgänglich auf die Idee kommen musste, sich von diesem Baum zu bedienen und einen Apfel herunterzunehmen. Dieser Baum, das war schon etwas Besonderes. 

Eines Tages kam einer, der den Baum ebenso zu bewundern schien. Er nahm sich einen Apfel und spazierte weiter. Er war so begeistert von dem Baum und dessen Entdeckung, dass er jedem den er kannte von diesem Baum erzählen musste. Das Essen war knapp, sodass sich die Erzählung von dem großen Baum schnell herumsprach. Viele Leute kamen nun Tag für Tag, um den Baum zu bewundern und von seinen köstlichen Früchten zu essen. Das war keine Schande. Der Baum lud dazu ein, als wolle er sagen: „Kommt alle her, kostet von meiner Frucht, findet Schutz unter meinen Armen, legt euch nieder in meinem Schatten und bleibt eine Weile dort.“ Das war schon etwas Besonderes.

Die Tage zogen ins Land und einer bemerkte, dass die Krone des Baumes immer leerer wurde. Der Baum hätte sicher mehr Äpfel gehabt, wenn er könnte, doch ein Baum ist nun mal ein Baum und kann nicht zaubern. Dieser eine sagte: „Wir müssen die Äpfel einteilen, jeder nur ein Apfel pro Tag.“ Die Leute waren einverstanden, sie wollten noch so lange wie möglich etwas von diesem herrlichen Baum genießen, denn er war schon etwas Besonderes.

Es kam der Tag, dieser eine Tag, da wollte einer zwei Äpfel haben. Als alle ihren Apfel für den Tag gepflückt hatten, ging er nochmal zum Baum und pflückte sich einen zweiten Apfel. Ein anderer sah ihn dabei und war so erzürnt, darüber, dass er ihn erschlug. Jeder nur ein Apfel. So war die Regel. Er sah nun den Apfel, den der eine sich zu viel genommen hatte. Er fragte sich was er nun mit ihm tun sollte.

Sollte er ihn liegen lassen? Er würde bestimmt faul werden bis morgen. Mit zwei Äpfeln könnte er aber nicht zurück zu den anderen. Jeder nur ein Apfel. So war die Regel. Aber wenn es niemand sehen würde? Der andere hat sich es immerhin auch erlaubt. Er nahm ihn sich. 

Als am nächsten Tag einem auffiel, dass ein Apfel am Baum fehlt, der eigentlich da sein müsste, begannen die Menschen sich zu beschuldigen. „Der hat doch immer so ein Hunger!“ „Aber er hier, er hatte schon öfters gesagt, dass ihm zwei Äpfel guttun würden.“ Voller Boshaftigkeit und Neid erschlugen sie sich gegenseitig, da sie keinen Schuldigen finden konnten. 

Und der Apfelbaum? Der Apfelbaum wirkte fast etwas traurig, denn er hätte genug Äpfel für alle gehabt.



© Maximilian Schlechtweg 2024-05-20

Genres
Anthologien
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Inspirierend, Adventurous, Inspiring
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