Der Christbaum… groß nix immer gut

Herbert Schieber

von Herbert Schieber

Story

In meinem Elternhaus war der Heilige Abend immer ein großes Familienfest. Alle strahlten dabei glücklich, nur unsere Christbäume nicht. Die Fichtenbäumchen waren nie groß, standen daher immer auf einem Hocker. Schon am Tag der Bescherung ließen sie ihre dünnen Ästchen traurig hängen.

„Dieses Jahr wollen wir einen ordentlichen Christbaum!“, forderten wir Kinder. Vater brachte tatsächlich einen Baum mit über 2m Höhe nach Hause. Im Transportnetz war er wirklich imposant. Mein Bruder und ich erhielten wieder den Auftrag den Baum zu schmücken.

24.Dezember, Vormittag. Wir holten diesen Prachtbaum ins Wohnzimmer. „Tati, wo ist der Christbaumständer?“ Wir waren entsetzt als er ihn brachte. Das Loch des Ständers war viel zu klein für das heurige Prachtexemplar. Her mit dem Holzbeil! Der Stamm muss kleiner werden! Das laute Hacken lockte Zuschauer ins Wohnzimmer. „Das schaffen sie niemals!“ „Wirst sehen es geht sich aus!“ „Nie und nimmer!“ Wetten wurden darauf abgeschlossen. Nach etwa einer Stunde hatten wir es dann doch geschafft. Der Baum war im Ständer und stand kerzengerade am Boden.

„Alle wieder hinaus aus dem Wohnzimmer!“ Nur der 4-jährige Hari, der Sohn unserer Schwester, ließ sich nicht abwimmeln. Er durfte zuschauen. Doch als wir das Transportnetz aufschnitten, eröffnete sich das nächste Dilemma. Der Baum hatte nur auf einer Hälfte ordentliche Äste. Die andere Hälfte wurde von der Natur verarscht. Nur vereinzelt ragten dort hagere Nadelruten heraus. „Egal! Wir werden es mit dem Christbaumschmuck kaschieren!“ Doch schon nach 4 Kugeln begann sich der Baum zu neigen. Unser Neffe bekam einen Job mit Verantwortung. „Hari. Du hältst den Baum, dass er nicht umfällt!“ Der Bub stand brav da und sicherte mit gestrecktem Arm den Baum. Nach dem Schmücken wollten wir ihn dann irgendwie abstützen.

Fertig geschmückt! Aber noch bevor wir den Baum fixieren konnten, kommt Vater mal Nachschau halten. „Was machst du da Hari?“ „Ich halte den Baum!“ „Lass dich nicht von den beiden für dumm verkaufen!“ „Ich muss aber den Baum halten, weil er sonst umfällt.“ „Blödsinn, der fällt nicht um!“ „Doch!“ „Nein!“ „Doch, der fällt um!“ „Wenn er umfällt bin ich schuld. Lass aus!“ Hari lässt aus. Unter lautem Krachen und Klirren fällt das Prachtstück um. Blankes Entsetzen in den Augen unseres Vaters. Seinem Befehl fielen 5 Kugeln, 1 Glasengerl und der Christbaumspitz zum Opfer. Als Kollateralschaden war auch noch ein Lichterglockenspiel und der Schirm der Wohnzimmerlampe zu beklagen.

Es wurde Abend. Da stand er nun, der Baum! Etwas schief, mit der kahlen Seite voraus festgebunden in einer Ecke. Darauf nur 5 brennende Kerzen und daneben 2 Eimer Wasser spiegelten das mangelnde Vertrauen in unser Werk. Wir sangen diesmal nur „Stille Nacht“. Und als das „Vater Unser“ endlich zu Ende war, waren alle froh, dass die Kerzen wieder ausgeblasen werden durften.

Das Jahr darauf besungen wir wieder zufrieden ein am Hocker stehendes süßes Christbäumchen!

© Herbert Schieber 2019-12-07