Der Duft der Rose

Henrike Vogel

von Henrike Vogel

Story

Ich war 43 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem man vom Leben keine Überraschungen mehr erwartet. Doch just in jenem Jahr geschah etwas, das mein Leben veränderte.

Ich war schon mit Anfang 20 leidenschaftlicher Kleingärtner. Meine Passion waren nicht Bohnen oder Beeren, sondern Rosen. Ich kultivierte alte Bauernrosen. Um die Sorten zu sammeln, fuhr ich quer durch Deutschland. Ich war immer auf der Suche nach robusten und wundersam duftenden Rosen in verschiedensten Farben. Ich hasste diese sterile Blume, die man käuflich erwerben konnte, die zwar aussah wie eine Rose, die aber eher den Plastikblumen zugerechnet werden sollte als Mutter Natur. Ich verstehe bis heute nicht, wie jemand eine Blume schön finden kann, die nicht duftet.

Ich wurde belächelt, und als die Rosen nach und nach der Hitze, Trockenheit, dem wie eine Sintflut hereinbrechenden Starkregen und schlussendlich einer eingeschleppten Pilzart zum Opfer fielen, war ich der einzige, der um das Überleben jeder einzelnen kämpfte. Die Plastiksorte wurde weiter gezüchtet, sodass sie allem standhielt und in die meisten Gärten einzog. So kam es, dass ich in ganz Deutschland die letzten Rosen ihrer Art besaß.

Eines Tages, ich weiß bis heute nicht, wie er mich gefunden hat, stand ein Mann vor meiner Tür. Er wirkte seltsam verzweifelt. Ob er meine Rosen ansehen dürfe. Gern. Ich zeigte ihm den Rosengarten.

An diesem Tag wurde ich zum reichsten Mann Europas. Ein Milliardär, der des Geldes und Goldes überdrüssig geworden war, lehnte fortan jede Bezahlung in herkömmlichen Währungen ab. Er führte eines der wichtigsten Chemieunternehmen. Es verlangte ihm nur nach einem: dem Duft der Rose. Kein künstliches Pendant konnte ihn überzeugen. Und die echten Rosen waren beinahe ausgestorben. Der Mann kaufte mir Rosen ab, um das Unternehmen jenes Milliardärs zu erwerben.

Dass ein Duft jemals zum Zahlungsmittel werden würde, wer hätte sich das erträumen können? Ob man in einigen Jahren statt Geldscheinen frische Blüten in einem gläsernen Portemonnaie herumtragen würde, um den Duft zu konservieren?

Es lässt mich darüber nachdenken, was einem im Leben wirklich wichtig ist. Die äußere Schönheit und aller Glanz sind es mir nicht. Ich sitze in meinem Garten und labe mich am Duft der Rosen. Jetzt habe ich ununterbrochen Zeit dafür.

© Henrike Vogel 2023-05-20

Genres
Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Komisch, Hoffnungsvoll, Inspirierend
Hashtags