Der Elefantenmensch

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story
Linz 1980 – 1982

Ein Film repräsentierte die dunkle Phase meines Lebens wie kein anderer: Der Elefantenmensch – DAS Meisterwerk von David Lynch. Es zeigt einen kultivierten, ruhigen, intelligenten, aber entstellten Menschen, der mich grausam von der Depression meiner Jugend in die Menschlichkeit zurück-riss. Ich erinnerte mich an eine seltsame Begegnung bei einem Konzert. Mein Blick schweifte auf den Hinterkopf des Mannes, der zwei Reihen vor mir saß. Ich erkannte ihn sofort. Es war der Mann, den ich zum ersten Mal im finsteren Dom entdeckt hatte. Er war mir schon damals durch sein frommes Verhalten und sein dämonisches Gesicht aufgefallen. Er schien wie eine mystische Figur, ein Bote aus einer vergangenen Welt, wie der letzte Riese aus der Sagenwelt, ein Eremit, abseits der Menschheit, ein Philosoph der letzten Erkenntnisse. Sein Kopf wölbte sich nach oben unter einem Berg von Haaren. Es war ein riesiger Knäuel, nein, eine überdimensionale Beule, was da herausragte. Und plötzlich erkannte ich mit Schrecken, es war auch keine Beule, sondern ein Tumor, eine gewaltige Verwachsung der Knochen, eine hässliche Missbildung des Körpers, die diesem Mann anhaftete. Vor meinen Wahrheit-suchenden Augen konnte er sie nicht verbergen, denn in dem Film „Elefantenmensch“, den ich kurz davor gesehen hatte, konnte ich schon einmal solch eine entstellte Kreatur beobachtet. Nur hatte ich mir bisher nicht vorstellen können, dass es so etwas auch in der Realität geben würde. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Jetzt wusste ich auch, warum er sich von den Menschen absonderte. Welches Schicksal musste dieser Mensch gehabt haben? Was war sein Geheimnis? Und plötzlich war dieser Tumor für mich nichts mehr Ungewöhnliches. Doch etwas trennte mich noch von ihm. Ich wollte ihn ansprechen, aber ich konnte nicht. Ich wäre gern ein guter Mensch zu ihm gewesen, aber ich zeigte es nicht. Meinen Anspruch, Mut zu haben, jede Chance zu ergreifen, um Kontakt aufzunehmen – werde ich ihn je erfüllen?   

Doch zurück zum Film: Ich erkannte so viele Parallelen. Es war eine kalte und herzlose Welt, in der ich – und John Merrick, den man im Zirkus ausgestellte, lebten. Alle lachten uns aus – mich in der Schule, als Klassenkasperl, und ihn, das „Monster“. Sie zeigten mit dem Finger auf ihn und warfen Münzen. Doch das sollte sich ändern. Trotz seiner körperlichen Erscheinung und meiner lächerlichen Wahrnehmung als Clown waren wir intellektuelle und sensible junge Männer, die von der Welt der Gedanken und Ideen fasziniert waren. Wir träumten davon, eines Tages in einer Welt zu leben, in der wir nicht als abartig angesehen wurde. In seiner Einsamkeit, nach all dem, was er erlebt hatte, fand John Trost in seiner eigenen Würde. Er erkannte, dass er nicht die Meinung der anderen brauchte, um sich selbst zu akzeptieren. Er war mehr als nur das, was die Welt in ihm sah. In seinen Gedanken war er frei, und in seinen Träumen unendlich. Der Elefantenmensch lehrte die Welt die wahre Bedeutung von Menschlichkeit. Es waren nicht seine Missbildungen, die ihn zu einem einzigartigen Wesen machten, sondern die Liebe, die er zu sich selbst fand und die Liebe weniger, die bereit waren, ihn zu akzeptieren, wie er war. Letztlich ist das Leben ein Geheimnis, bis wir es lüften. Das ist unser Ziel, ob wir es wissen oder nicht (David Lynch).

© Gunny Catell 2025-02-18

Genres
Spannung & Horror
Stimmung
Herausfordernd, Dunkel, Reflektierend, Traurig, Angespannt
Hashtags