Der Feierabend

Constanze Woidschützke

von Constanze Woidschützke

Story

„Einaaaaaatmen! Halten, halten, halten. Und wieder ausatmen. Aaaaaaaaah. Und wieder einaaaaaaatmen! Halten …“
Wo bin ich hier nur hingeraten? Auf dem Flyer, der im Foyer des Hotels auslag, hatte von dem, was mir hier geboten wird, nichts gestanden. Leicht und beschwingt in den Feierabend. Das hatte ich zumindest nicht mit Atemübungen und Walgesängen, die jetzt aus einem alten CD-Player dudelten, in Verbindung gebracht.
Ich schaue mich um. Die Gruppe ist bunt gemischt. Da ist ein Businesstyp im Anzug, der hoch konzentriert atmet, eine Mutti, ihrer großen Handtasche nach, an der eine Schnullerkette baumelt. Ein Damen-Trio, Ü60, mit dem gleichen grell pinken Sportshirt bekleidet und ständig am Kichern. Die Gruppenleiterin Saskia, die – sich jedes Klischee erfüllend – in einer gebatikten weit geschnittenen Hose und einer wild gemusterten Bluse steckt und ihr Mann Herb, oder wie sie ihn vorstellte: Hööörb. Herb heißt im wahren Leben sicher Herbert, aber das passt wohl nicht so gut zum Lifestyle. Herb trägt ein erdfarbenes Leinen-Set und einen bunten Schal um die Stirn gebunden, der ihm bei seinen ausufernden Bewegungen schon mehrmals über die Augen rutschte. Beide haben eine Kette mit einem ungeheuer großen Stein umgelegt. Und dann bin da ich. Ich trage noch mein Kostüm und meine Haare streng hochgesteckt. Der Entschluss, hier herzukommen, war sehr spontan und ich konnte nicht ahnen, dass ich in den ersten Minuten schon meinen inneren Knoten tasten und frei atmen muss; – das erfordert ein Höchstmaß an Bewegungsfreiheit, wie ich nun weiß. Ich schiebe mich weiter nach links, um mich unauffällig hinter einer Steinsäule zu verstecken. Eventuell kann ich von hier aus auch ungesehen flüchten.
„Nun wollen wir zusammen mit einer Partnerperson die letzten Verspannungen freischütteln, bevor Hööörb uns mit einem Gurkencocktail erfrischen möchte“, säuselt Saskia und klatscht aufmunternd in die Hände. Das Sportshirt-Trio nimmt die Mutti in Beschlag und Saskia und Herb scheinen uns anleiten zu wollen, sodass ich wohl oder übel mit dem Anzugträger vorliebnehmen muss. Gegenüberstehend und an den Händen haltend warten wir darauf, dass die Walgesänge von einsetzenden rhythmische Klängen abgelöst werden. Lasst los lautet die Devise. Unser Schütteln würde sich zu einem Gleichklang bringen lassen. Eingeschüchtert von der Damengruppe rechts neben uns, die aneinander rütteln und reißen, sodass ich ein Schleudertrauma nicht ausschließen kann, und wirklich harmonisch schwingenden, aber ausladenden Bewegung zu unser linken vom Leiterteam, beginnen wir langsam unsere Arme zu bewegen. Die Musik wird schneller und wir kommen langsam rein, während Saskia und Herb schon bald ekstatische Verrenkungen vollführen. Außer Atem rufe ich meinem Gegenüber ein „Bist du auch schon freigeschüttelt?“ zu, bekomme aber keine Antwort mehr, da sich just in dem Moment Herbs Kette löst und der schwere Stein mit Schwung an die Stirn des Businesstypen klatscht, der daraufhin unvermittelt meine Hände loslässt und zu Boden geht. Zum Glück kommt er gleich wieder zu sich. Und erstaunlicherweise ist sein ernster Gesichtsausdruck auf einmal verschwunden. „Beschwingt in den Feierabend stimmt schon mal“, sagt er lachend in die Runde. Lachen ist wohl der wahre Schlüssel zur Entspannung.

© Constanze Woidschützke 2025-04-01

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Komisch, Unbeschwert, Entspannend