von Eva Surma
1910 kamen meine Großeltern hierher, in die Südsteiermark. Damals waren sie jung. Sie waren Nachkommen der Ziegelböhm und Maltaweiber, die in der Generation davor aus Tschechien nach Wien zugewandert waren. Der Großvater fand hier Arbeit in der Weberei die Großmutter half im Gasthaus an der Kreuzung. Sie kauften sich ein Grundstück, wo sie sich ein Haus bauten, das Elternhaus meiner Mutter, mein Elternhaus.
Der Garten, der dieses Haus umgab, war ein Gemüse und Nutzgarten und der Garten der Kinder, die neben der Rüben pflanzenden und Kürbis hauenden Großmutter herumtollten und mit dem ewigen Junggesellen beim Haus, unserem Onkel Toni, das Radfahren und das Drechseln lernten.
Am großen Nussbaum hatte ich eine Schaukel, mit der ich Weltreisen machte und bis zur Sonne flog und weil meine Mutter immer wissen wollte, wo ich war, sagte sie: „Sing was Schönes! Dann kann ich dich hören und weiß, dass alles in Ordnung ist.“ Und ich schaukelte und sang, meine ganze Kindheit lang, bis ich zu schwer wurde für die Schaukel und der Nussbaum schließlich weichen musste, weil das Alter ihm zu sehr zugesetzt hatte.
Die Zeit nahm ihren Lauf und der Garten sah Familienmitglieder kommen und gehen. Er begleitete mich aber auch weiter, durch meine Schulzeit und mein Erwachsenwerden und ehe ich mich´s versah, lernten meine Kinder im Garten laufen und Radfahren und eine Schaukel wurde am Apfelbaum aufgehängt, direkt gegenüber der Eingangstür.
„Horch einmal!“ sagte meine Mutter eines Tages, da war sie schon in Pension. Wir legten gerade Birnen ein. „Weint nicht der Bub?“
„Nein“, sagte ich. „Der schaukelt nur und singt.“
„Der singt aber gar nicht so schön wie du. Der ist unmusikalisch.“ antwortete meine Mutter und wir schlichteten weiter Birnenstücke in die Weckgläser.
Als ich nach draußen ging, um die Birnenabfälle auf den Kompost zu bringen, sah ich meinen Sohn an der Schaukel hängen, kopfüber. Mit dem Fuß hatte er sich im Strick der Schaukel verfangen und schleifte nun mit Kopf und Schulter am Boden. Er weinte. „Du hörst mich nicht! Du hörst mich nicht! Ich schrei schon ganz laut.“
„Mein Gott! Entschuldige!“ sagte ich herbeieilend und befreite ihn aus seiner misslichen Lage, putzte ihm den Sand aus den Haaren und sah die blutigen Schrammen an Wange und Stirn. „Ich habe gedacht du singst. Ich hab als Kind auch immer gesungen, beim Schaukeln.“
Heute lachen wir und mein Sohn erzählt die Geschichte seinen Kindern, um klar zu machen, dass seine Kindheit auch Tücken hatte. Der Garten besteht fort und birgt für uns alle Erinnerungen an die Kindheit.
Als meine Mutter in ihren letzten Zügen lag und ich hilflos sah, was kommen würde, krabbelte ich zu ihr ins Bett und begann, ihr die Lieder meiner Kindheit ganz leise ins Ohr zu singen. Meine Schaukellieder, eins nach dem anderen. Ihr Atem wurde ruhig und ihr Gesicht entspannte sich. Ich wusste, jetzt sieht sie unseren Garten vor sich. Sie hört mich singen und weiß, dass alles in Ordnung ist.
© Eva Surma 2021-04-11